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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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belebend.
Schillers ideeller Tendenz
, heißt es in den »Tag- und Jahres-Heften«,
konnte sich meine reelle gar wohl nähern, und weil beide vereinzelt doch nicht zu ihrem Ziele gelangen, so traten beide zuletzt in einem lebendigen Sinne zusammen.
Nun war Wolf auch ein besonders schwieriger Fall, sein Widerspruchsgeist war notorisch. Wenn man von ihm eine Auffassung übernahm und sie wenige Tage später ihm gegenüber äußerte, konnte es geschehen, daß er sie
wie die größte Absurdität
behandelte. Einmal, so spottete Goethe später, habe er Wolf veranlaßt, einen Tag vor dem Geburtstag abzureisen,
denn mir war angst, er würde mir an meinem Geburtstag ableugnen, daß ich geboren sei
. Wolf war zwar ein schwieriger Fall, doch sein Besuch lenkte von der Trauer über Schillers Tod ab.
    Die Nachwirkungen von Schillers Tod sollten lange anhalten. So wird Goethe noch die kleine Verliebtheit vom Winter 1807/08 in Minna Herzlieb, die Pflegetochter des Verlegers Frommann in Jena, in Verbindung mit dem mehr als zwei Jahre zurückliegenden Tod des Freundes bringen. In einer nicht veröffentlichten Notiz für die »Tag- und Jahres-Hefte« ist von der
Sehnsucht nach dem Abgeschiedenen
die Rede und davon, daß der immer wieder schmerzlich empfundene
Verlust
Schillers
Ersatz
forderte. So wird die jähe entfachte
Leidenschaft
für Minna Herzlieb erklärt, und Goethe fügt hinzu, daß sie nur deshalb nicht
verderblich
gewirkt habe, weil er die Erregungen in die Bahnen jener Sonette umzulenken vermochte, die er im Wettstreit mit Zacharias Werner, dem berühmt-berüchtigten Frauenverführer und Dichter romantisch-religiöser Schicksalsdramen, verfertigte.
Der Dichter pflegt, um nicht zu langeweilen, / Sein Innerstes von Grund aus umzuwühlen; / Doch seine Wunden weiß er auszukühlen, / Mit Zauberwort die tiefsten auszuheilen
. Minna Herzlieb war damals achtzehn, hübsch von Aussehen, doch ein wenig schwer von Begriff. Goethe hatte sie heranwachsen sehen und war empfänglich für ihren Liebreiz, der sich offenbar ganz ohne Koketterie zeigte. Jedermann hatte sie gerne, und sie war der Inbegriff der naiven Schönen, die »lieblichste aller jungfräulichen Rosen« wurde sie genannt. Sie war mitteilsam, und doch erweckte sie den Eindruck einer eigentümlichen Verschlossenheit, was sie noch anziehender machte. Ein Geheimnis umgab sie. Goethe also hatte sich in sie verliebt, und auch Zacharias Werner warb um sie. Die Tändelei dauerte nur einen Winter, doch immerhin war der Eindruck nachhaltig genug, um auf Ottilie in den »Wahlverwandtschaften« abzufärben. Übrigens war Minnas Ende ähnlich traurig wie das von Ottilie. Sie verkümmerte später in einer unglücklichen Ehe und versank in geistiger Umnachtung.
    Unmittelbare Nachwirkung von Schillers Tod aber war, daß Goethe die Arbeit am »Faust« wieder aufnahm. Schiller hatte ihn immer dazu gedrängt, und Goethe fühlte sich nun in der Pflicht, das Werk endlich zu vollenden, auch dem toten Freund zuliebe. Allerdings bestand auch ein äußerer Druck. Der achte Band der von Cotta veranstalteten Werkausgabe sollte einen abgeschlossenen »Faust« enthalten. Cotta hatte sich das vertraglich zusichern lassen, weil er sich auch ökonomisch einiges davon versprach. Die Veröffentlichung dieses Bandes stand nun an, und Goethe begann Ende März 1806 mit Unterstützung Riemers unter erheblichem Zeitdruck – Cotta sollte auf dem Rückweg von der Leipziger Buchmesse das druckfertige Manuskript in Empfang nehmen –, die Szenen der fragmentarischen Fassung von 1790 nochmals durchzusehen. Aus dem inzwischen angesammelten Vorrat unveröffentlichter Szenen sollte einiges ergänzt werden, damit das Stück endlich einen gewissen Abschluß bekam, denn die Fassung der Göschen-Werkausgabe von 1790 war wirklich nur ein Fragment, das noch vor der Walpurgisnacht und der Kerkerszene mit Gretchen abbrach. Aber auch in der Fassung von 1808 wird Goethe mit dem Stoff noch nicht zu Ende sein. Deshalb nennt er das Stück »Der Tragödie erster Teil«, wodurch dann das »Vorspiel auf dem Theater«, der »Prolog im Himmel« sowie die »Zueignung«, besonderes Gewicht bekommen: Sie gelten dem ganzen Drama. Ob der zweite Teil je zu einem Abschluß kommen wird, ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiß. Jedenfalls bleibt Faust für den Autor ein ständiger Begleiter.
    In dieser Zeit der Fertigstellung von »Faust I« ließ sich Goethe in ein denkwürdiges, ausführliches Gespräch mit dem jungen, soeben nach Jena

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