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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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berufenen Historiker Heinrich Luden über den »Faust« ein. Luden zeichnete es sofort auf und veröffentlichte es später. Er hatte die erste Aufzeichnung sogleich Freunden und Bekannten in Jena zu lesen gegeben, und nur weil er sie aus der Hand gegeben hatte, blieben sie überhaupt erhalten, denn was sich an Manuskripten in seinem Hause befand, wurde bei den Plünderungen nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Herbst 1806 vernichtet.
    Luden gab zunächst die noch bis heute gängigen Interpretationen wieder, die damals im Anschluß an das Faust-Fragment von 1790 umliefen. »In dieser Tragödie«, so referiert Luden die gängigen Erwartungen, »wenn sie einst vollendet erscheine, werde der Geist der ganzen Weltgeschichte dargestellet sein; sie werde ein wahres Abbild des Lebens der Menschheit sein, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassend. In ›Faust‹ sei die Menschheit idealisiert; er sei der Repräsentant der Menschheit.« Faust strebe, so Luden weiter, nach dem Absoluten, doch er finde sich davon schmerzlich losgerissen und seitdem erfüllt von der Sehnsucht nach Wiedervereinigung, die er zuerst im Wissen und Erkennen, dann aber mit Leib, Leben und Liebe anstrebe. Dabei gerate er auf Abwege, verliere sich in Schuld und Verbrechen. Doch es fehle dem Fragment nicht an Hinweisen, daß Faust sich dereinst geläutert wieder mit dem Geist des Absoluten vereinigen werde. Schön und gut, unterbricht Goethe nach einer Weile, was aber meinen Sie denn nun selbst, junger Mann? Luden windet sich zunächst, kommt dann aber zur Sache. Es gebe in dem Stück gar keine Grundidee, sagt er, Repräsentanten der Menschheit gebe es auch nicht. Dies seien entweder alle oder keiner. Es gebe nur Einzelheiten und Einzelne, und Goethes Stück sei reich an bedenkenswerten Einzelheiten und eindrucksvollem Einzelnen. Er sei an Goethes Stück erst froh geworden, »seitdem ich mich entschlossen habe, das Einzelne zu genießen, und das Suchen nach einer Grund-Idee, nach einem Mittelpunkt, wodurch mir der Genuß verkümmert worden war, gänzlich aufzugeben.« So ähnlich äußerte sich Goethe bisweilen auch, wenn ihm die Liebhaber der höheren Bedeutung auf die Nerven gingen. Aber aus dem Munde eines kecken jungen Mannes hörte er solche Bemerkungen denn doch nicht so gerne. Sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr als Luden mit seinen Vermutungen herausrückte, wie das Stück wohl überhaupt entstanden sei. Eben nicht aus einem Guß, sondern »auf das Geratewohl«; Szenen seien »in das Blaue hinein gedichtet« worden, und es seien dann diese »einzelnen Perlen« auf eine Schnur aufgezogen worden, um sie »vor der Zerstreuung« zu bewahren. Wahrscheinlich sei zuerst, noch in der Leipziger Studentenzeit, die Szene in Auerbachs Keller entstanden, denn sie sei jugendlich frisch, frei und lebendig; dann die Schülerszene mit Mephisto, auch ein höherer Studentenulk. Nun aber mußte der Faust aus Auerbachs Keller mit dem Mephisto aus der Studentenszene in eine Verbindung gebracht werden, und so kam es zur Szene zwischen Faust und Mephisto. Daraus entwickelt sich dann jene Dynamik, die den Gelehrten zum Verführer werden läßt. So wächst der Faust heran und erst am Ende wird der bedeutungsschwangere Monolog des Anfangs gedichtet. An dieser Stelle nun erklärt Goethe das Gespräch über das Thema für beendet.
Wir wollen
, sagte er,
indes für dieses Mal abbrechen, und den Gegenstand nicht wieder aufnehmen, bis die ganze Tragödie vorliegt
. So wollen auch wir hier verfahren. Es sei nur noch angefügt, daß Goethe in seinem Tagebuch zwar den Besuch Ludens notiert, nicht aber das Thema des Gesprächs. Ärgerte er sich? Jedenfalls wird das Thema eines anderen Gesprächs am selben Tag genau notiert. Dabei ging es um die
Schädlichkeit der Kartoffeln
.
    Zu den nachhaltigen Wirkungen von Schillers Tod gehört bei Goethe auch die wachsende Bereitschaft, das eigene Leben historisch zu sehen.
Seit der großen Lücke, die durch Schillers Tod in mein Dasein gefallen ist,
schreibt er im April 1806 an den seit der Italienreise mit ihm befreundeten Maler Philipp Hackert,
bin ich lebhafter auf das Andenken der Vergangenheit hingewiesen, und empfinde gewissermaßen leidenschaftlich, welche Pflicht es ist, das was für ewig verschwunden scheint, in der Erinnerung aufzubewahren
. Hier deutet sich die autobiographische Periode von Goethes Schaffen an, die wenig später mit der Arbeit an »Dichtung und Wahrheit« mächtig einsetzt.
    Zuvor aber mußte erst

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