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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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noch etwas anderes geschehen, bedeutungsvolle Ereignisse, die vielleicht noch einschneidender waren als der Tod Schillers: die Katastrophe vom 14. Oktober 1806, Preußens Niederlage gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt, die Besetzung und Plünderung Weimars durch die Franzosen. Es bestand während jener Tage die Gefahr, daß Goethe alles verlieren könnte, sein Leben, seinen Besitz, sein Amt, seinen Herzog.
    Weimar hatte seit Anfang des Jahrhunderts an der Seite Preußens den Frieden im neutralisierten Norddeutschland genossen. Karl August, über die Mutter Anna Amalia mit Friedrich dem Großen verwandt, befehligte seit dem ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich als Generalmajor ein preußisches Kontingent. Er wußte, daß er die politische Unabhängigkeit seines kleinen Fürstentums nur bewahren konnte, wenn er die Gegensätze der großen Nachbarn klug nutzte. Nach der geschickt eingefädelten Vermählung des Erbprinzen Karl Friedrich mit der Zarenschwester Maria Paulowna 1804 war für den Herzog nun auch Rußland ein Rückhalt gegen preußische Zumutungen und napoleonische Übergriffe. Goethe unterstützte Karl Augusts vorsichtige Politik der Bewahrung einer fragilen Neutralität, aber es zeigten sich auch Differenzen. Goethe war weniger preußisch gesinnt als sein Herzog und setzte mehr auf französisches Wohlwollen, aber das spielte in der Phase der Neutralität kaum eine Rolle. Für beide hatte das alte Reich inzwischen jede Bedeutung als Garant der Stabilität verloren, darüber machte sich Goethe keine Illusionen. Nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und der Gründung des Rheinbundes 1806 war das Reich nur noch eine Ruine, die zu keinen politischen Hoffnungen mehr berechtigte.
    Die Nachricht, daß Franz II. die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation am 6. August 1806 feierlich niedergelegt, den Kaisertitel für Österreich angenommen und damit das äußere Ende des alten Kaiserreichs besiegelt hatte, erreicht Goethe auf seiner Rückreise von Karlsbad, wo er den Sommer verbracht hatte. Im Tagebuch notiert er:
Zwiespalt des Bedienten und Kutschers auf dem Bocke, welcher uns mehr in Leidenschaft versetzte, als die Spaltung des römischen Reichs
. Der Untergang des Reichs konnte keine Leidenschaft mehr wecken, weil er schon so lange vorher besiegelt war. Doch an der politischen Entwicklung nahm Goethe lebhaft Anteil. Er konnte auch gar nicht anders, schon allein seiner amtlichen Stellung wegen. In Karlsbad und auch während der Rückreise vermerkt das Tagebuch häufig politische Gespräche, was nicht verwunderlich ist in der angespannten Atmosphäre jener Wochen. Es ging darum, ob Preußen (und damit auch Weimar) die Neutralität bewahren könnte oder zu einem Krieg provoziert würde. Man munkelte, Napoleon wolle das den Preußen versprochene Hannover an England zurückgeben. Würde Preußen diesen Affront mit einer Kriegserklärung an Frankreich beantworten?
Reflexionen und Diskussionen,
notiert Goethe, und vermerkt den Aufbruch preußischer Truppen in Richtung Hannover.
    Für den Augenblick jedoch drängte sich tatsächlich der Streit auf dem Kutschbock in den Vordergrund, denn Goethes Diener Johannes Gensler hatte sich bei der Rückreise aus Karlsbad mit dem Kutscher so heftig geprügelt, daß die Kutsche zeitweilig führerlos ins Schlingern geriet und fast umgestürzt wäre. Goethe nahm diesen Vorgang sehr ernst. Einen Tag später übergab er Gensler, den er als
äußerst rauh, störrisch, grob und auffahrend
schildert, der Polizei in Jena und schrieb dazu:
Da ich mich nun in dem Fall sah, durch Zorn und Ärger die ganze Wirkung
meiner vollbrachten Badekur zu verlieren, auch auf dem Punkt stand, zu einer unschicklichen und sträflichen Selbsthilfe genötigt zu werden; so blieb mir nichts übrig, als diesen Burschen bei meiner Ankunft in Jena in militärische Haft bringen zu lassen.
Goethe deutet also an, daß er sich fast auf eine Schlägerei mit seinem Diener eingelassen hätte.
    Nur kurze Zeit lenkt dieser Ärger von den großen politischen Sorgen ab. Es tritt ein, was Goethe befürchtet hat. Preußen beendet seine Neutralität und erklärt Frankreich den Krieg, im Alleingang, denn Österreich und Rußland halten einstweilen noch still. Für Goethe ist das ein allzu tollkühnes Vorgehen. Auch der Herzog ist über den preußischen Alleingang entsetzt, er hätte lieber eine antinapoleonische Allianz geschmiedet. Doch die familiäre Loyalität gebietet ihm, an der Seite

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