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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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hält sich nicht an den Pandora-Mythos, sondern macht etwas Eigenes daraus. In seinem Stück enthält die Büchse, die Pandora öffnet, nicht Unheil, sondern Gaukelbilder von berückender Schönheit, und es ist Epimetheus, der sich davon verzaubern läßt. So wird er zum Entrückten, der sich schwärmerisch in Erinnerungen verzehrt, zugleich aber wird er damit auch zum Schutzgeist der Poeten, und ihm gegenüber tritt Prometheus als eisenharter Repräsentant des Realitätsprinzips auf. Unter seiner Obhut werden Werkzeuge für die Bauern und Hirten produziert, doch auch Kriegsgerät. Prometheus kommandiert die Werkstätten und das Handwerk des Krieges. In seinem Gefolge ertönt ein Lied, in das Goethe seine jüngsten Eindrücke bei der Plünderung Weimars verwoben hat:
So geht es kühn / Zur Welt hinein, / Was wir beziehn, / Wird unser sein. / Will einer das, / Verwehren wir’s; / Hat einer was, / Verzehren wir’s. / Hat einer g’nug / Und will noch mehr; / Der wilde Zug / Macht alles leer. / Da sackt man auf! / Und brennt das Haus, / Da packt man auf / Und rennt heraus.
    Prometheus und Epimetheus wirken vornehm im Hintergrund, den Vordergrund beansprucht eine verwickelte Handlung. Eine Tochter des Epimetheus, Epimeleia, liebt Phileros, den Sohn des Prometheus. Phileros hat vom Vater die Tatenlust geerbt, nicht aber die Besonnenheit. Er glaubt Grund zur Eifersucht zu haben, und fast hätte er den vermeintlichen Nebenbuhler getötet und mit ihm die Geliebte. Der ergrimmte Vater verurteilt den Sohn zum Tode: Er soll sich vom Fels ins Meer stürzen. Doch die aus dem Meer aufsteigende Göttin Eos rettet ihn und die Geliebte.
    Dieser versöhnliche Abschluß kommt schnell und überraschend, bevor sich das Stück richtig entfaltet hat. Goethe war offenbar ungeduldig geworden und wollte sich die Angelegenheit vom Halse schaffen. Es gibt nur ein paar Notizen für eine Fortsetzung, »Pandorens Wiederkunft«. Offenbar sollte der Gegensatz zwischen dem Geist der Poesie – die Gabe, Vergangenes in ein Bild zu verwandeln – und dem Ethos der nützlichen Arbeit noch verschärft werden.
    Auf mythischem Schauplatz erahnt man hinter dem drohend und zugleich faszinierend heraufdämmernden prometheischen Zeitalter das Bild Napoleons. Der dominierende Geist der Gegenwart ist politisch, praktisch, nützlich; das Poetische aber steht im Verdacht, zwar liebenswert und dabei doch erschlaffend, womöglich sogar überflüssig zu sein. Pandora und ihre munteren Luftgeburten werden jedenfalls einstweilen nicht wiederkehren. Goethe bricht die Arbeit am Stück ab. Im Juni 1811 schreibt er an Zelter:
Leider komme ich mir
〈...〉
wie eine Doppelherme vor, von welcher die eine Maske dem Prometheus, die andre dem Epimetheus ähnlicht, und von welchen keiner
〈...〉
zum Lächeln kommen kann.
Der Streit zwischen Prometheus und Epimetheus blieb ungeschlichtet. Eine andere Arbeit stand im Vordergrund und verlangte nach einem Abschluß: die »Farbenlehre«.
    Vor annähernd zwanzig Jahren hatte Goethe damit begonnen, Beobachtungen zu notieren und kleinere Versuche anzustellen. Die Kladden, welche die einschlägigen Manuskripte, Farbtafeln, Skizzen enthielten, schwollen an. Bis auf zwei kürzere Aufsätze Anfang der neunziger Jahre hatte er davon nichts veröffentlicht. Er ließ sich einen großen Papiersack anfertigen, wo alles verstaut werden konnte. Mit Schiller wurde einiges durchgesprochen und dieser half ihm, Ordnung in das Material zu bringen. Anfang 1798 hatte Schiller ihm geschrieben, es sei nicht immer klar, ob vom Licht und seinen Wirkungen oder von der Eigentätigkeit der Augen die Rede sei. Damit veranlaßte er Goethe zu der Unterscheidung zwischen den physiologischen (also die Eigentätigkeit des Auges betreffenden) Farben einerseits, den physikalischen und chemischen andererseits, also zwischen den subjektiven und den objektiven Farben.
    Immer wenn es äußere Turbulenzen oder innere Unruhe gab, hatte Goethe sich zu seinen Farbenstudien geflüchtet. Auf den Schlachtfeldern in Frankreich notierte er seine einschlägigen Beobachtungen, ebenso bei der Belagerung von Mainz 1793. Die wunderbare Konsequenz der Natur habe etwas Beruhigendes, pflegte er zu sagen. Mit den Jahren waren die Materialien so angewachsen, daß er 1803 schließlich eine Gesamtrevision vornahm und Überholtes und Unbrauchbares vernichtete.
Man darf die Schlacken nicht schonen, wenn man endlich das Metall heraus haben will
, schrieb er an Schiller, der ihn ermunterte,

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