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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges
.
    Darum befaßt sich Goethe in seiner Farbenlehre auch nicht etwa mit dem sogenannten Wesen des Lichtes, sondern mit seinen Wirkungen im Widerspiel mit hindernden, brechenden, trübenden Elementen. Aus diesem Widerspiel entspringen die Farben. Thema des Farbenwerks ist also nicht das Wesen des Lichtes, sondern seine Wirkungen oder, wie er, ebenfalls bereits im Vorwort, pointiert sagt:
die Taten des Lichts, Taten und Leiden.
Indem Goethe die Frage nach dem Wesen zurückweist und sich auf die Welt der Wirkungen beschränkt, verzichtet er einerseits auf metaphysische Spekulation:
Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!
〈...〉
Du Geist der Erde bist mir näher,
heißt es im »Faust«, wo im großen Eingangsmonolog das neuplatonische Ideenreich verabschiedet wird. Der
Geist der Erde
, an den Faust sich wendet, ist dann allerdings zu allgewaltig, und doch ist er auf der richtigen Spur – es ist die Spur der erdverbundenen Wirkungen – und er selbst befreit sich auch zu neuer Wirksamkeit. Warum Mephisto helfen muß, dies Problem wird uns später noch beschäftigen.
    Die Beschränkung auf die Welt der Wirkungen bei Goethe weist einerseits die metaphysische Spekulation zurück. Zurückgewiesen aber wird auch die Verlockung, aus dem Kreis der Anschaulichkeit herauszutreten. Einspruch also zuerst gegen die metaphysische und dann gegen die mathematische Verflüchtigung der Wirklichkeit. Das eine Mal geht es gegen die ehrwürdige platonische Tradition, das andere Mal gegen den Geist der von Newton angestoßenen modernen Naturwissenschaft, die sich im Unanschaulichen verliert. Mit welcher gigantischen Reichweite man vom Unanschaulichen her, in das man sich in der Moderne hinausgedacht hat, machtvoll in die anschauliche Wirklichkeit zurückwirken kann, ahnte Goethe zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Daß aber ein Handeln im Unanschaulichen und von ihm her haltlos wird, unberechenbar, rücksichtslos, daß es zur Orientierungslosigkeit und dann zur sittlichen Verwahrlosung führt, dessen war er sich allerdings sehr wohl bewußt. Er ahnte die prometheische Scham angesichts der eigenen Fabrikationen und Machenschaften, die Scham, daß man sich nicht mehr auszumalen vermag, was man alles ins Werk setzen kann.
    Goethe hatte zunächst noch gar nicht gegen Newton streiten wollen. Die Wendung dazu vollzog sich in einer Art Urszene, die er im »Historischen Teil« der Farbenlehre schildert. Es war im Jahr 1790. Ein Gelehrter, der Hofrat Christian Wilhelm Büttner, hatte ihm Prismen geliehen. Goethe hatte keinen Gebrauch davon gemacht und sollte sie nun wieder zurückschicken. Im letzten Moment packte er doch noch ein Instrument aus und warf einen Blick durch das Glas auf die geweißte Wand. Da kommt ihm die Erleuchtung. Es ist wie bei der Schilderung des Bekehrungserlebnisses bei Augustin, als dieser dem Ruf folgt: »Nimm und lies!« Dort die Bibellektüre, hier der Blick durch das Prisma:
ich erwartete, als ich das Prisma vor die Augen nahm, eingedenk der Newtonischen Theorie, die ganze weiße Wand nach verschiedenen Stufen gefärbt, das von da ins Auge zurückkehrende Licht in soviel farbige Lichter zersplittert zu sehen. Aber wie verwundert war ich, als die durchs Prima angeschaute weiße Wand nach wie vor weiß blieb, daß nur da, wo ein Dunkles dran stieß, sich eine mehr oder weniger entschiedene Farbe zeigte
〈...〉
Es bedurfte keiner langen Überlegung, so erkannte ich, daß eine Grenze notwendig sei, um Farben hervorzubringen, und ich sprach wie durch einen Instinkt sogleich vor mich laut aus, daß die Newtonische Lehre falsch sei.
    Von diesem Augenschein ließ sich Goethe nicht mehr abbringen. Höhnisch bemerkt er im »Polemischen Teil« der Farbenlehre, weder sei es jemandem gelungen, farbige Strahlen wieder zurück ins Weiße zu vereinigen, noch habe man aus farbigen Partikeln etwas Weißes zusammenmischen können. Wo Newton es doch versucht habe, sei dabei etwas herausgekommen, das
mäusefarben, aschfarben, etwa steinfarben oder wie der Mörtel, Staub, oder Straßenkot aussieht und dergleichen.
Man würde sich wünschen, fährt er fort,
daß die sämtlichen Newtonianer dergleichen Leibwäsche tragen müßten, damit man sie an diesem Abzeichen von andern vernünftigen Leuten unterscheiden könnte.
    Das Weiß ist also keine Synthese, sondern der Anfang aller Synthesen. Weiß ist der Ursprung

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