Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Nachlasses kurz und bündig:
Wir sind / Naturforschend Pantheisten, / Dichtend Polytheisten, / Sittlich Monotheisten.
Unter diesen Gesichtspunkten gruppierte Goethe in seiner Autobiographie denn auch die Darstellung seines Verhältnisses zu Religionsdingen. Er erzählt, wie der Knabe schon früh ein pantheistisches Naturgefühl entwickelte, wie ihn der antike Götterhimmel, der Polytheismus, in poetische Begeisterung versetzte, und wie ihm dann der strenge einzige Gott des Alten Testaments, der Monotheismus, zum Inbegriff des moralischen Gesetzes wurde.
Jede Darstellung der Vergangenheit, schreibt Goethe in einem Brief an Zelter über seine Autobiographie, bringt
etwas von dem Geiste der Zeit mit, in der sie geschrieben wurde.
Die Verknüpfung von gegenwärtiger Erfahrung und dargestellter Vergangenheit gilt, wie wir gesehen haben, für die Schilderung von Stimmungen wie dem Lebensekel, sie gilt auch für die Beschäftigung mit Religionsdingen. Und sie gilt für Geschichte und Politik.
Es war eine politisch erregende Zeit, in der Goethe die ersten drei Bücher von »Dichtung und Wahrheit« schrieb. Im Jahr 1811, als Napoleons Macht in Europa auf dem Höhepunkt war und Goethe nach der Begegnung mit ihm stolz das Kreuz der Ehrenlegion trug, entstand der erste Teil der Autobiographie mit der Erinnerung an eine Kindheit im alten Reich. Der zweite Teil, der die Leipziger und Straßburger Zeit mit der Idylle von Sesenheim enthält, entstand, als Europa den Atem anhielt bei Napoleons Feldzug gegen Rußland, und er erschien nach dem großen Scheitern dieses Feldzug. Der dritte Teil, der die Entstehung des »Götz« und des »Werther« behandelt, wurde geschrieben im Jahre 1813, als die vereinten europäischen Mächte Napoleon bezwangen und in Deutschland eine nationale Bewegung erwachte. Als dieser Band, im Frühsommer 1814 erschien, war Napoleon bereits nach Elba verbannt.
Auf dem Höhepunkt von Napoleons Machtentfaltung in Europa und nach dem Verschwinden des alten Reiches, schildert Goethe eine glanzvolle Kaiserkrönung, die er einst als Knabe in Frankfurt erlebt hatte. Diese Welt ist ebenso verschwunden wie die Welt der ersten Jugendliebe, das alles lebt nur noch in der Erinnerung, von märchenhafter Schönheit überglänzt. Doch auch Ironie blitzt auf, denn mit dem Mädchen, dem ersten
Gretchen
, war es doch nicht das richtige, und mit dem alten Reich auch nicht. Die Erzählung über die Zeit am Reichskammergericht in Wetzlar macht das deutlich. Hier läßt Goethe den Leser das Überlebte der alten Ordnung spüren, den
monstrosen Zustand dieses durchaus kranken Körpers, der nur durch ein Wunder am Leben erhalten ward
. Das ist auch gegen die historischen Sentimentalitäten der Romantik gerichtet, gegen jene Patrioten, die sich das alte Reich herbeiträumen.
Während in Weimar und anderswo geklagt wird über die Lasten der französischen Einquartierungen, schildert Goethe, wie einst Franzosen im Frankfurter Haus am Hirschgraben Quartier machten, die Verbitterung des Vaters darüber und die Lust des Knaben, dem sich bei dieser Gelegenheit die Welt des Theaters auftat. Dieser Abschnitt von »Dichtung und Wahrheit« ist eine Liebeserklärung an die französische Kultur, geschrieben in einem historischen Augenblick, da überall die antifranzösische Stimmung wächst.
Der dritte Teil, wo die einstige Jugendbewegung des ›Sturm und Drang‹ behandelt wird, enthält einen verdeckten Kommentar zu den Befreiungskriegen.
Der ästhetische Sinn, mit dem jugendlichen Mut verbunden, strebte vorwärts,
heißt es über den ›Sturm und Drang‹, mit einem Seitenblick auf die Gegenwart:
Hieraus entstand eine halb eingebildete, halb wirkliche Welt von Wirkung und Gegenwirkung, in der wir späterhin die heftigsten Angebereien und Verhetzungen erlebt haben.
Damals wie heute gilt ihm solche Freiheitsbewegung als rhetorische und bloß angelesene Aufgeregtheit von Schulmeistern, Literaten und Zeitungsschreibern, nicht als eine Kraft des wirklichen Lebens. Ähnlich urteilte er über den Patriotismus, dem er Phrasenhaftigkeit und Abstraktheit zum Vorwurf machte. An Zelter schrieb er darüber im Juli 1807, nach Preußens Zusammenbruch:
Wenn aber die Menschen über ein Ganzes jammern, das verloren sein soll, das denn doch in Deutschland kein Mensch sein Lebtag gesehen, noch viel weniger sich darum bekümmert hat; so muß ich meine Ungeduld verbergen, um nicht unhöflich zu werden.
Die Reflexionen über das
Dämonische,
die erst im postum
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