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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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»wie viel Erquickliches für mich«, schreibt Marianne, »veredelt durch Ihren Geist, tritt jedes noch so kleine Ereignis, jedes unwillkürlich ausgesprochene Wort in ein höheres Leben, ich staune über das Bekannte und freue mich doch innig, daß es mir angehörte, ja daß ich es in einem gewissen Sinne mir zueignen darf.«
    Goethe wird Marianne nie mehr wiedersehen, doch schreibt man sich von nun an häufiger. Ihre Briefe sind offen und klar, nicht mehr schwärmerisch, sondern eher elegisch gestimmt. Sie schreibt: »ich war mir selbst ein Rätsel; zugleich demütig und stolz, beschämt und entzückt, schien mir alles wie ein beseligender Traum, in dem man sein Bild verschönert, ja veredelt wieder erkennt«. Goethe antwortet bisweilen wieder in verliebter Manier, Gedicht folgt auf Gedicht. Das erste in dieser neu eröffneten Reihe, das dem druckfrischen gebundenen Exemplar des »West-östlichen Divan« beigelegt war, lautet:
Liebchen, ach! im starren Bande
/
Zwängen sich die freien Lieder, / Die im reinen Himmelslande / Munter flogen hin und wieder. / Allem ist die Zeit verderblich, / Sie erhalten sich allein! / Jede Zeile soll unsterblich, / Ewig wie die Liebe sein.
    Man fährt fort, sich gegenseitig orientalische Talismane und Segenspfänder zu schicken, Seidenschals, Rosenöl, Ginkgoblätter. Sie sandte ihm einmal Pantoffeln, in die sie den Namenszug Suleika gestickt hatte, und Hosenträger, verziert mit Frühlingsblumen. Er bedankt sich mit einem Gedicht. So geht das noch eine Weile weiter. Erst in den letzten Jahren wird der Ton wieder gesetzter, nüchterner. Man teilt sich eher mit, was um einen herum als was in einem geschieht. Als Goethe im Jahr vor seinem Tod Briefe durchsieht, schreibt er ihr:
so leuchten mir besonders gewisse Blätter entgegen
,
die auf die schönsten Tage meines Lebens hindeuten
. Er packt sie zusammen und schickt ihr das Paket mit der Bitte, es erst nach seinem Tod zu öffnen. Eingelegt war dieses Gedicht:
Vor die Augen meiner Lieben, / Zu den Fingern die’s geschrieben, – / Einst, mit heißestem Verlangen / So erwartet, wie empfangen – / Zu der Brust der sie entquollen, / Diese Blätter wandern sollen; / Immer liebevoll bereit, / Zeugen allerschönster Zeit.

    Anmerkungen

Einunddreißigstes Kapitel
    West-östlicher Divan: Lebensmacht der Poesie. Islam. Religion
    überhaupt. Poet oder Prophet. Was ist Geist? Glaube und Erfahrung.
    Die Anerkennung des Heiligen. Das Indirekte. Die Plotin-Kritik: der Geist
    in der Bedrängnis des Wirklichen. »Wilhelm Meisters Wanderjahre« als
    Probe aufs Exempel. »Die Sehnsucht verschwindet im Tun und Wirken«.
    Prosa und Poesie im Streit. Warum eigentlich Entsagung?
    Der »West-östliche Divan« war indes noch mehr als das wunderbare literarische Rollenspiel der Liebe im »Buch Suleika«, von dem Goethe im Ankündigungstext schreibt:
Auch hier dringt sich manchmal eine geistige Bedeutung auf und der Schleier irdischer Liebe scheint höhere Verhältnisse zu verhüllen.
    Das Spiel mit den höheren Bedeutungen gibt es nicht nur beim Liebesthema, sondern auch bei den anderen Stationen der
Reise,
wie er den Zyklus auch nennt.
Der Dichter betrachtet sich als einen Reisenden
, heißt es ebenfalls in der Ankündigung; ein Reisender, der eher mit Freiheit als mit Zielstrebigkeit unterwegs ist:
Laßt mich nur auf meinem Sattel gelten! / Bleibt in euren Hütten, euren Zelten! / Und ich reite froh in alle Ferne, / Über meiner Mütze nur die Sterne.
Ein Reisender auch, der neugierig und staunend Sitten und Gebräuche des Orients erkundet, der das Fremde erschaut, um daraus zu lernen und – um sich selbst besser zu erkennen.
    Der Orient, wie er ihn sich vorstellt, ist für den Dichter das gelobte Land der Poesie, weil sie hier, so vermutet er, das alltägliche Leben durchdringt. Die Lebensmacht der Poesie ist, nach der Liebe, das zweite große Thema des »West-östlichen Divan«.
    Was ist Poesie? Der Dichter des »West-östlichen Divan« gibt die Antwort:
Dichten ist ein Übermut, / Niemand schelte mich! / Habt getrost ein warmes Blut / Froh und frei wie ich
. Sie ist
Übermut
beim Lobpreisen und Rühmen, beim Lieben, doch auch beim
Hassen
. Man muß nämlich seine Feinde, die Feinde der Freiheit, kennen. Das sind die Dogmatiker, die Moralapostel, die Bornierten, die nicht das Schöne sondern nur das Nützliche zu schätzen wissen:
Dann zuletzt ist unerläßlich, / Daß der Dichter manches hasse; / Was unleidlich ist und häßlich, / Nicht wie Schönes

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