Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
von Baulustigen war enorm. Das stattlichste Haus am Ort war das der Familie Brösigke. Der Rittergutsbesitzer Friedrich Leberecht von Brösigke ließ es bauen mit Geldern eines stillen Teilhabers, des Grafen Klebelsberg, der darauf wartete, endlich die Tochter des Rittergutsbesitzers, die bereits zweimal verheiratet gewesene Amalie von Levetzow, ehelichen zu können. Die schöne Amalie war im zarten Alter von fünfzehn Jahren von einem Levetzow geheiratet worden, von dem sie zwei Töchter hatte. Dieser erste Levetzow trennte sich bald von ihr. Sie heiratete einen zweiten, den Vetter, der ihr halbes Vermögen verspielte, und, statt seine Schulden zu bezahlen, es vorzog, bei Waterloo 1815 zu fallen. Da der erste Levetzow noch lebte, mußte der katholische Klebelsberg dessen Tod erst abwarten, um bei Amalie zum Zuge zu kommen. Goethe hatte sie 1806 in Karlsbad kennen gelernt und im Tagebuch
Pandora
genannt, was bei ihm mit der Vorstellung von holdem Vergnügen verknüpft war. Damals trug er sich mit dem Plan für ein Festspiel gleichen Namens. Zu diesem Zeitpunkt war Ulrike, die erste Tochter, schon geboren. Die Mutter war damals ungefähr so alt wie Ulrike, als Goethe ihr im Sommer 1821 zum ersten Mal begegnete. Pandora kehrte wieder.
In einem Divan-Gedicht, einige Jahre früher geschrieben, heißt es:
Die Jahre nehmen dir, du sagst, so vieles: / Die eigentliche Lust des Sinnenspieles, /
〈...〉
Aus eignem Tun Behagen / Quillt nicht mehr auf, dir fehlt ein dreistes Wagen! / Nun wüßt’ ich nicht was dir Besondres bliebe?
Die grüblerische Melancholie und das gesunkene Selbstvertrauen indes haben in diesem Gedicht nicht das letzte Wort:
Mir bleibt genug! Es bleibt Idee und Liebe!
So ist es. An Ideen besteht bei Goethe sowieso kein Mangel. Und nun kommt auch wieder die Liebe dazu.
Nach der kurzen Visite 1820 fuhr Goethe im Sommer darauf zum ersten Mal für längere Zeit nach Marienbad, wo er im noblen Brösigkeschen Hause Quartier nahm. Amalie mit ihren Töchtern war auch zugegen. Zunächst ist der zweiundsiebzigjährige Goethe eine Art Großpapa, der sich fortwährend im Kreise dieser Familie aufhält, auf der Terrasse plaudert oder mit der ältesten Tochter, der siebzehnjährigen Ulrike in der Gegend herumzieht, um Steine zu sammeln und zu beklopfen. Eine hübsche Sammlung von Steinen kommt zusammen und wird vor dem Abendessen auf dem Tisch ausgebreitet. Einmal legt Goethe eine Tafel Schokolade dazwischen, weil Ulrike den Steinen, die für sie alle gleich aussehen, nicht sonderlich gewogen ist. Auch Ulrikes Mutter, Amalie, ist häufig um Goethe und verströmt einigen Reiz. Sie ist erst Anfang dreißig und, wie Goethe dem Herzog berichtet, eine Frau,
die ihre Anmut, durch manche Jahre und Schicksale durch, noch ganz hübsch gerettet hat
.
In den Briefen des ersten Sommers in Marienbad ist zunächst mehr von den Steinen die Rede als von den Damen. Man brauchte im Haus am Frauenplan noch nicht alarmiert zu sein, wenn es in einem Brief an August heißt:
Grüße Frau und Kinder, auch Ulriken, wenn sie gegenwärtig ist. Zufälligerweise findet sich eine recht artige Ulrike hier im Hause, so daß ich auf eine und die andere Weise immer ihrer zu gedenken habe
.
Die
artige Ulrike
im Brösigkeschen Hause ist eine hochaufgeschossene, schlanke, hübsche junge Dame, die in einem Straßburger Mädchenpensionat untergebracht ist und den Sommer hier mit Mutter und Schwestern verbringen darf. Sie hat Voltaire gelesen, doch der Name Goethe ist ihr gänzlich unbekannt. Selbstverständlich hört sie nun von seinem Ruhm. Goethe hat die druckfrischen Exemplare der »Wanderjahre« nach Marienbad geschickt bekommen. Ulrike fängt darin zu lesen an, ein wenig gelangweilt und mit dem Gefühl, daß der Geschichte etwas vorausgeht, was sie noch nicht kennt. Sie fragt Goethe danach. Der erzählt ihr einiges über die »Lehrjahre«, gibt ihr aber zu verstehen, daß jenes Buch über das herumziehende Künstlervölkchen wohl doch nichts für junge Mädchen sei, demgegenüber die »Wanderjahre« nichts Schädliches enthielten. Was ganz gewiß zutrifft. Ulrike liest trotzdem nicht weiter und geht lieber spazieren und abends auf den Ball. Laut Tagebuch hat auch Goethe die Bälle im großen Saal des Brösigkeschen Hauses besucht. In diesem Sommer noch selten, im nächsten Jahr schon fleißig und dann noch fleißiger.
Verglichen mit dem alltäglichen Leben im Haus am Frauenplan, wo die Stimmung nicht immer gut ist, sind diese Sommerwochen in
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