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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Dichter war er eine öffentliche Seele, als Amtsträger eine
öffentliche Person
, wie er selbst das nannte. Der Wiener Kongreß 1815 hatte Weimar in den Rang eines Großherzogtums erhoben und eine beträchtliche Gebietserweiterung gebracht. Der Herzog durfte sich jetzt »Königliche Hoheit« nennen, und auch Goethe wurde zum »Staatsminister« erhöht, wenngleich er dem Ministerium nicht mehr angehörte, sondern nur im Hintergrund beratend wirkte. Er wollte mit den Aufgaben des Tages nicht mehr belastet werden, und der Herzog erließ es dem Freund gnädig. Das Gehalt stieg, bei Verringerung der amtlichen Pflichten. Goethe führte die »Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena«. Dazu gehörte aber nicht die zeitaufwendige Universitätsaufsicht, und seit Frühjahr 1817 auch nicht mehr die Leitung des Weimarer Theaters. Die Spannungen mit der Frau von Heygendorf, ehemals Karoline Jagemann, hatten nach der Krise von 1808 nicht beigelegt werden können. Sie hielt Goethe auch weiterhin nicht für einen ordentlichen Theaterleiter, fand ihn zu nachlässig in den Alltagsgeschäften. Außerdem wünschte sie eine stärkere Anpassung an den gängigen Publikumsgeschmack. Bei einem französischen Boulevardstück sollte ein dressierter Pudel die Hauptrolle spielen. Sie setzte es durch gegen den erklärten Willen Goethes, der dann das Gerücht streuen ließ, er wolle nicht mehr dabei sein, wenn das Theater auf den Hund käme, und er werde wohl von der Theaterleitung zurücktreten. Der Herzog entband ihn daraufhin von seinen Pflichten. Er wollte verhindern, daß die freundschaftlichen Beziehungen vergiftet würden.
    Doch auch bei verringerten Amtspflichten hörte Goethe nicht auf, das Weimarer Staatswesen zu repräsentieren. Kein Minister, kein gekröntes Haupt, das bei einem Besuch in Weimar nicht auch bei Goethe im Haus am Frauenplan vorsprach, Gelegenheit für ihn, das von Napoleon verliehene Ehrenkreuz zu tragen. Es wurde bei solchen Empfängen großer Aufwand getrieben, und er bat deshalb um Steuererleichterung, die ihm auch gewährt wurde. Bei Einnahmen, die zusammen mit Buchhonoraren mitunter zehntausend Taler im Jahr betrugen, zahlte er kaum hundertfünfzig Taler Steuern. Und doch glaubte er sparen zu müssen und ärgerte sich über die Abgaben, die er als immer noch eingeschriebener Bürger an die Stadt Frankfurt zu entrichten hatte. Er beantragte deshalb die Entlassung aus dem Bürgerverband. So wurde sein Name aus der Bürgerliste gestrichen, wofür er dreißig Kreuzer anstandslos zahlte.
    In Frankfurt residierte und tagte der Deutsche Bund, die ziemlich machtlose Dachorganisation der beim Wiener Kongreß neu geordneten oder neu geschaffenen deutschen und nichtdeutschen Fürstentümer. Goethes Freund Karl Friedrich von Reinhard, seit Jahrzehnten unter wechselnden Regimen in französischen Diensten, war dort als Repräsentant Frankreichs und konnte Goethe auch weiterhin mit Nachrichten aus der großen Politik versorgen. Im Deutschen Bund war man nicht gut zu sprechen auf die bürgerlich-patriotischen deutschen Einheitsbestrebungen, und Goethe hielt bekanntlich auch nicht viel davon. Im zweiten Heft von »Über Kunst und Altertum«, Goethes Hauspostille des letzten Lebensjahrzehnts, ließ er 1817 eine scharfe Polemik gegen die »Neu-deutsche-religios-patriotische Kunst« erscheinen, die nicht nur die christlich-katholisierende Malerei der Nazarener, sondern überhaupt das patriotische Maskenwesen und die sentimentale Mittelalterverehrung aufs Korn nahm. Es ärgerte ihn, wenn sein »Götz von Berlichingen« von der nationalen Propaganda benutzt wurde. Goethe hatte sich zwar von seinem jungen Freund Sulpiz Boisserée zeitweilig für die mittelalterliche Malerei und Plastik erwärmen lassen, er hatte auch für den Weiterbau des Kölner Doms plädiert, doch es sollte damit aus seiner Sicht keine politisch-patriotische Tendenz verbunden sein. Er liebte Altertümliches, wenn es lebendig war, nicht aber wenn es künstlich zu politischen Zwecken wiederbelebt wurde. So etwa schilderte er liebevoll das traditionelle »Sankt-Rochus-Fest zu Bingen«, ohne darum schon als Propagandist der katholischen Lebenswelt auftreten zu wollen. Dieses heilige Fest faszinierte ihn so wie einst der Römische Karneval. Der tolle wie der fromme Wahnsinn, beides schön anzusehen.
    Das Großherzogtum Weimar war dem politisch Neuen besonders zugewandt. Der Großherzog hatte dem Land die von der

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