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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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beweisen, auch im Augenblick der erotischen Enttäuschung. Dem um fünfunddreißig Jahre jüngeren Freund Sulpiz Boisserée schilderte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte, seine Methode gegen die Melancholie des Alters:
Verzeihen Sie, mein Bester, wenn ich Ihnen exaltiert scheine; aber da mich Gott und seine Natur so viele Jahre mir selbst gelassen haben, so weiß ich nichts Besseres zu tun, als meine dankbare Anerkennung durch jugendliche Tätigkeit auszudrücken. Ich will des mir gegönnten Glücks
〈...〉
mich würdig erzeigen und ich verwende Tag und Nacht auf Denken und Tun, wie und damit es möglich sei. Tag und Nacht ist keine Phrase, denn gar manche nächtliche Stunde, die dem Schicksale meines Alters gemäß ich schlaflos zubringe, widme ich nicht vagen und allgemeinen Gedanken, sondern ich betrachte genau, was den nächsten Tag zu tun? das ich denn auch redlich am Morgen beginne
〈...〉
was man zu einer Zeit versäumt, wo man das Recht hat, zu glauben oder zu wähnen, es gebe noch Wiedermorgen und Immermorgen.
    Es sind vor allem drei Vorhaben, denen er sich nun energisch zuwendet. Er läßt im Januar 1824 Schillers Briefe abschreiben in Vorbereitung auf die geplante Edition des Briefwechsels. Er sondiert bei Cotta die Möglichkeit einer neuen vollständigen Werkausgabe letzter Hand. Beide Vorhaben legen ihm die Erledigung einer dritten Aufgabe dringlich nahe, nämlich die Arbeit am zweiten Teil vom »Faust« fortzusetzen und womöglich abzuschließen.
    In Schillers Briefen, in die er sich jetzt noch einmal vertieft, liest er die den »Faust« betreffenden Ermunterungen und Mahnungen des Freundes, wodurch er sich neuerlich in die Pflicht genommen fühlt. Und von Cotta, mit dem er nun über die neue Werkausgabe zu verhandeln beginnt, weiß er, wie sehr dieser sich die Fortsetzung und Vollendung des »Faust« für die Ausgabe letzter Hand wünscht, auch aus ökonomischen Gründen.
    Der »Faust« war ja nun wirklich ein Lebensthema Goethes. Angefangen hatte es in der Kindheit mit dem Puppenspiel und einem zerfledderten Exemplar des alten Volksbuches. Dort lernte er Faust kennen, den Teufelsbeschwörer, eine Märchenfigur, komisch und unheimlich zugleich, ein echter Kinderschreck, besonders wenn er am Ende vom Teufel geholt wird. Während der Studentenzeit in Leipzig spukte ihm die Figur im Kopf herum, das Gemälde in Auerbachs Keller, das einen Faust rittlings auf dem Weinfaß zeigt, war eindrücklich genug. Vielleicht entwarf er damals schon die entsprechende Szene, vielleicht auch die erste Schülerszene, nach der Audienz des jungen Studenten beim großen Gottsched. Als Goethe, aus Leipzig zurückgekehrt, in Frankfurt sterbenskrank darniederlag, alchemistische Schriften studierte und mit dem Fräulein von Klettenberg einschlägige Experimente anstellte, fühlte er sich der okkulten Sphäre des Magiers Faust besonders nahe. Faust war für ihn zunächst eine altdeutsche Figur, wie der »Götz«. Um 1772, nach der Hinrichtung der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt in Frankfurt, war ihm die Idee gekommen, die Geschichte des zauberischen Gelehrten mit einer Gretchen-Tragödie zu verbinden. Im Frankfurter Freundes- und Bekanntenkreis wartete man nach dem »Götz« und dem »Werther« gespannt auf den »Faust«, von dem es hieß, er werde demnächst erscheinen. Heinrich Christian Boie, Mitherausgeber des »Göttinger Musenalmanachs«, notierte im Oktober 1774 nach einem Besuch bei Goethe: »Sein ›Doktor Faust‹ ist fast fertig und scheint mir das Größte und Eigentümlichste von allem«. Während der ersten Jahre in Weimar las Goethe gerne und häufig aus dem Manuskript vor. Fünfzig Jahre nach seinem Tod fand man im Nachlaß des buckligen Hoffräuleins Göchhausen die Mitte der siebziger Jahre gefertigte Abschrift einiger Szenen, die dann als »Urfaust« bezeichnet wurden. Damals waren sicherlich weit mehr Szenen bereits entworfen, unter anderen der Helena-Akt.
    Das Faust-Thema ließ Goethe nicht los, und gerade deshalb zögerte er, damit fertig zu werden. Doch er ließ sich unter Druck setzen, immer wenn eine Werkedition anstand. So war es bei der Göschen-Ausgabe, für die er den »Egmont«, die »Iphigenie« und schließlich auch den »Tasso« abschloß und für die er auch mit dem »Faust« zu einem Ende kommen wollte, doch vergeblich. 1790 erschien, zur Enttäuschung des Publikums, lediglich »Faust. Ein Fragment«. Für die erste Cotta-Werkausgabe gelang ihm schließlich ein vorläufiger

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