Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Abschluß: 1808 erschien als achter Band dieser Ausgabe »Faust. Der Tragödie erster Teil«.
Mehrere Szenen für den zweiten Teil der Tragödie waren zu diesem Zeitpunkt auch schon fertig, für den Helena-Akt, einiges auch für den Schluß, vor allem aber gab es mehrere Auflistungen der Szenenfolge. Seit Goethe an Faust arbeitete, gab es immer diesen Wechsel zwischen entflammender Nähe zum Stoff und entfremdender Ferne. Mal waren es
nordische Phantome,
denen er sich ferngerückt fühlte
,
dann wieder ging ihm die Faustwelt, wenn er sich ihr näherte, wie eine
Schwammfamilie
auf. Er staunte selbst darüber, wie schnell er sich, nach einer Phase des Widerwillens, wieder in den Stoff hineinfühlen und daran fortarbeiten konnte, ohne daß ein Bruch bemerklich wurde. Wenn er die neu beschriebenen Papiere ein wenig anräuchere, schrieb er einmal, würde keiner den Altersunterschied der Manuskripte bemerken, es sei jedenfalls
merkwürdig wie sehr ich mir gleiche und wie wenig mein Innres durch Jahre und Begebenheiten gelitten hat
. Das schrieb er 1788, und aus späteren Zeiten gibt es gleichlautende Äußerungen.
Bruchlos und einheitlich zeigt sich denn auch der erste Teil der Tragödie in der Fassung von 1808. Für den zweiten Teil, an dem Goethe seit 1825 energisch zu arbeiten beginnt, gilt das nicht mehr. Die Atmosphäre verändert sich, auch die Charaktere. Faust ist nicht mehr der altdeutsche Stubengelehrte, auch nicht mehr der brünstige Liebhaber, sondern er tritt nun auf als souveräner, welterfahrener Herr. Er ist überhaupt nicht mehr ein schillernder Charakter, sondern spielt eine jeweils recht eindeutige Rolle, die allerdings wechselt. Ihm ist die Bedeutung nun auf die Stirn geschrieben. Ein Kaiser wirbt um ihn, da ist nicht mehr die Stubenluft des Gelehrten zu merken. Im Helena-Akt ist er ein deutscher Ritter von der edlen Gestalt, ein nordischer Imperator, dann wird er zum Schlachtenbummler beim Generalstab, um schließlich als Großunternehmer beim Deichbau zu enden. Auch Mephisto verändert sich. Schon längst ist er kein richtiger altdeutscher Teufel mehr, sondern ein Weltmann, ein eleganter Zyniker, ein Mitarbeiter fürs Grobe und fürs Technische, und dann ein Unternehmensberater von der gerissenen Sorte, und ganz am Ende zeigt er sich als schwuler Lüstling. Die Wette gerät streckenweise völlig in Vergessenheit. Es sind also doch sehr andere Welten, in denen der zweite Teil der Tragödie spielt. Der Helena-Akt sollte gar als eigenes Stück herauskommen. Er fügte ihn dann doch in die Fausttragödie ein, veröffentlichte ihn aber immerhin 1827 als selbständigen Vorabdruck unter dem Titel »Helena. Klassisch-romantische Phantasmagorie«.
Bei der Arbeit am »Faust II« bildete dieser Helena-Akt den Ausgangspunkt. Von dieser Mitte aus, also dem 1826 fertiggestellten 3. Akt, entwickelt Goethe den Anfang des Stücks, also die Kaiserhof-Szenen und vor allem die »Klassische Walpurgisnacht« als
Antezidenzien
zum Helena-Akt. Vom Schlußakt war auch schon früher einiges fertig geworden, doch es fehlte vor allem noch der Übergang, der 4. Akt. Daran arbeitete Goethe im Jahr vor seinem Tod. Am 22. Juli 1831 heißt es im Tagebuch:
Das Hauptgeschäft zu Stande gebracht. Letztes Mundum. Alles rein Geschriebene eingeheftet.
Gegenüber Eckermann äußerte er:
Mein ferneres Leben
〈...〉
kann ich nunmehr als ein reines Geschenk ansehen, und es ist jetzt im Grunde ganz einerlei, ob und was ich noch etwa tue.
Den Freunden und Bekannten teilte er mit, das Werk werde nun versiegelt und solle erst nach seinem Tode veröffentlicht werden. Ob es wirklich versiegelt wurde, wissen wir nicht, Spuren davon haben sich jedenfalls nicht erhalten. Goethe öffnete den Packen dann doch noch einmal, am 24. Januar 1832.
Neue Aufregung zu Faust in Rücksicht größerer Ausführung der Hauptmotive, die ich, um fertig zu werden, allzu lakonisch behandelt hatte
.
Freunde und Bekannte drangen in ihn, das Werk doch noch zu Lebzeiten zu veröffentlichen. Auch Wilhelm von Humboldt äußerte sich in diesem Sinne. Ihm schrieb Goethe, es war überhaupt sein letzter Brief:
Ganz ohne Frage würd es mir unendliche Freude machen, meinen werten, durchaus dankbar anerkannten, weit verteilten Freunden auch bei Lebzeiten diese sehr ernsten Scherze zu widmen, mitzuteilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber ist wirklich so absurd und konfus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu
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