Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
würden schlecht belohnt und an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden zunächst überschüttet werden. Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über die Welt.
Wenn
verwirrende Lehre
über der Welt waltet, wie steht es dann mit der Lehre dieses großen Stückes, das Goethe einstweilen noch dem Publikum vorenthalten möchte? Ist sie auch so verwirrend? Gibt es überhaupt darin eine zentrale Lehre, eine Grundidee? Dazu hat Goethe sich widersprüchlich geäußert. Einerseits erklärt er, daß der Verstand die größeren Rechte daran habe. Damit spielt er auf das Übergewicht des Allegorischen an. Allegorien lassen sich in der Regel recht gut durch den Verstand auflösen. Sie können komplex sein, bleiben dabei aber rational. Sie sind wirklich etwas für Rätselfreunde, die auf saubere Lösungen erpicht sind, und für die Philologen, die ja dann später auch reichlich Arbeit daran finden werden. Bei der Mummenschanz-Szene wird ausdrücklich auf den allegorischen Charakter verwiesen und die Deutung der Figuren gleich mitgegeben.
Verkünde jede, wer sie sei,
ruft der Herold. Dieser ganze Mummenschanz gibt zwar Gelegenheit für Anzügliches, nicht aber für Vieldeutigkeiten. Es ist wie bei den Festzügen in Weimar, die Goethe in seiner Eigenschaft als Hofpoet angeordnet und mit Versen ausgestattet hat, wobei Vorkommnisse bei Hofe sowie Tugenden und Laster auch zumeist allegorisch dargestellt wurden. Dies alles verspielt und anmutig, aber eben doch auch ziemlich geheimnislos.
Andererseits betont Goethe das
Inkommensurable
seiner Faust-Fortsetzung. Bei jedem aufgelösten Problem ergebe sich ein neues. Man sollte den leisen Hinweisen nachgehen, dann werde man sogar mehr finden, als er hineingelegt habe. So kommt es auch. Man hat wahrlich viel, wahrscheinlich zu viel darin gefunden. Goethe hatte es sich schon beim ersten Faust gefallen lassen. Wenn einem die Interpreten zu Leibe rücken, hat das ja auch etwas Schmeichelhaftes für den Autor. Ärgerlich wird er nur, wenn die Rätselfreunde über dem Enträtseln die rätselhafte Schönheit des Kunstwerkes vergessen. Goethe plädiert für den ästhetischen Genuß und eine entspannte, spielerische Einstellung.
Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute!,
sagte er zu Eckermann,
Sie machen sich durch ihre tiefen
Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. – Ei! So habt doch endlich einmal die Courage,
Euch den Eindrücken hinzugeben,
Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen
〈...〉
aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre!
〈...〉
Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!
Warum sollte man sich auch mit einer
einzigen
Idee begnügen, wo es doch so viele Ideen in dem Stück gibt. Sie aufzuspüren, ist aber durchaus im Sinne Goethes, der auf Schillers Bemerkung, »ich bin überhaupt sehr erwartend, wie die Volksfabel sich dem philosophischen Teil des Ganzen anschmiegen wird«, antwortete:
Ich werde sorgen daß die Teile anmutig und unterhaltend sind und etwas denken lassen.
Werfen wir also einen Blick auf dieses große, endlich vollendete Stück, das womöglich unterhält, aber eben auch
etwas denken
läßt.
Faust und Mephisto. Was den Teufel betrifft, so war in Goethes Weltbild für ihn eigentlich kein Platz. Er
statuiere
keine selbständige Macht des Bösen, pflegte er zu sagen, und als Kant das »radikal Böse« in seine Philosophie einführte, erklärte Goethe, nun habe der weise Mann aus Königsberg seinen Philosophenmantel
beschlabbert
. Für Goethe gab es keinen Teufel. Bekanntlich muß man an den Teufel glauben wie an Gott. Und Goethe glaubte weder an einen überweltlichen Gott, noch an den Teufel. Goethe war zeitlebens Spinozist. Für ihn galt: »Deus sive natura.« Gott ist die Natur, in ihrem ganzen Reichtum und in ihrer schöpferischen Kraft. Und der Mensch kann und soll diese schöpferische Kraft, die auch in ihm lebt, entdecken, bewahren und betätigen. Tätigkeit ist deshalb der wahre Gottesdienst an der Natur, und mit dem Schaffenstrieb hat es schlechterdings kein Ende. Das ist auch Goethes Vision der Unsterblichkeit. Zu Eckermann sagte
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