Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
zusammenfügt. Die Elegie beschwört also die verschlossene Pforte und das verschlossene Herz. Doch alles lehnt sich auf, noch einmal gibt es ein Entrinnen, denn die Welt der Natur ist doch noch da, ein einziges großes Angebot, vielversprechend, lockend, lebendig:
Ein grün Gelände / Zieht sich’s nicht hin am Fluß
durch Busch und Matten?
/ Und wölbt sich nicht das überweltlich Große, / Gestaltenreiche, bald gestaltenlose?
Und nun, vom Atem der Natur berührt, wird auch wieder das Bild der Geliebten rege und das Herz, sich darin spiegelnd, freut sich
an seiner eignen Dauer
. Es ist das Gedicht selbst, das die Frage stellt, was ist Poesie, was ist Wirklichkeit? Und somit stellt es sich selbst auch in Frage. Es gibt die geradezu trotzige Antwort, daß alles sich der Person selbst, nicht dem Gespinst der poetischen Gefühle verdankt:
Wenn Liebe je den Liebenden begeistet, / Ward es an mir aufs lieblichste geleistet; // Und zwar durch Sie!
Mit der Gewißheit, keinem Phantom anzuhängen, steigert sich das Gefühl zur erotischen Anbetung, zur verliebten Frömmigkeit:
Dem Frieden Gottes, welcher euch hienieden / Mehr als Vernunft beseliget – wir lesen’s – / Vergleich ich wohl der Liebe heitern Frieden / In Gegenwart des allgeliebten Wesens.
Lange hält das beseligte Ruhen im Bilde der Geliebten nicht an,
wir lesen’s
deutet bereits vorsichtig eine Distanz an, die langsam wächst. Dem soll Einhalt geboten werden:
Nur wo du bist sei alles, immer kindlich, / So bist du alles, bist unüberwindlich
. Wohl doch nicht. Die Zeit erweist sich als mächtiger.
Er wiederholt ihr Bild zu tausendmalen. / Das zaudert bald, bald wird es weggerissen, / Undeutlich jetzt und jetzt im reinsten Strahlen; / Wie könnte dies geringstem Troste frommen? / Die Ebb’ und Flut, das Gehen wie das Kommen!
Die letzten beiden Strophen bringen die dramatische Wende. Plötzlich ist alles Nichts, auch die Natur spendet keinen Trost,
Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, / Der ich noch erst den Göttern Liebling war
. Ein letztes Anklingen des »Tasso«-Motivs von der Gnade des Ausdrucks. Dann endet die Elegie mit den Versen:
Sie drängten mich zum gabeseligen Munde, / Sie trennen mich, und richten mich zu Grunde.
In diesem letzten Sommer von Marienbad lernte Goethe auch die europaweit gefeierte Pianistin Maria Szymanowska kennen. Sie gab in Marienbad ein öffentliches Konzert, doch sie spielte auch, an einem Abend, für ihn alleine. Sie war eine anmutige, hochgebildete Frau in den Dreißigern, verwitwet. Man könne sich kaum entscheiden, so Goethe, ob man sie entzückt anschauen oder doch besser die Augen schließen sollte, um ihr besser zuhören zu können. Die letzten Verse des ihr gewidmeten dritten Gedichtes der »Trilogie der Leidenschaft« lauten:
Da fühlte sich – o daß es ewig bliebe! – / Das Doppel-Glück der Töne wie der Liebe.
Im Oktober 1823 kam Maria Szymanowska zu Besuch nach Weimar. Goethe gab ihr zu Ehren eine große Gesellschaft, und anderntags empfing er sie zu einem Essen in kleinem Kreise. Sie hatte sich schon verabschiedet und war verschwunden, da überkam Goethe ein Gefühl der Panik. Er bat den Kanzler Müller, der schönen Polin nachzueilen und sie noch einmal herzubitten. So geschah es, und die Szymanowska kehrte mit ihrer Schwester zurück. Große Abschiedsszene, Goethe rang um Fassung. »Aber alle Anstrengung des Humors«, berichtet Müller, »half nicht aus, die hervorbrechenden Tränen zurückzuhalten, sprachlos schloß er sie und ihre Schwester in seine Arme, und sein segnender Blick begleitete sie noch lange, als sie durch die offne lange Reihe der Gemächer entschwanden.«
Das war der Abschied eines Mannes, der weiß, daß er nun wirklich alt geworden ist.
Anmerkungen
Dreiunddreißigstes Kapitel
Arbeit am Faust, lebenslänglich. »Faust« endlich fertig.
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle und wieder zurück.
»Ich werde sorgen, daß die Teile anmutig und unterhaltend sind
und etwas denken lassen.« Was sich dabei denken läßt.
Zwar hatte Goethe seine auf Ulrike gerichteten Hoffnungen noch nicht vollständig aufgegeben, immerhin schrieb er Ende Dezember 1823 an die Mutter:
Möge sich dem Erfüllen und Gelingen nichts! nichts! entgegen setzen!
〈...〉
mit Sehnsucht hoffend und erwartend.
Doch es war nur ein letztes Aufbäumen gegen die Resignation. Er begegnete der Niedergeschlagenheit in bewährter Manier: Neue Pläne, neue Tätigkeiten. So wollte er Jugendkraft bewahren und
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