Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Geist und Materie also, entlastet und ihn ganz auf die Erde zurückbringt. Er will beweisen, daß der Mensch ein besseres Leben hat, wenn er nicht mehr irritiert wird vom
Schein des Himmelslichts
, sondern vorbehaltlos das genießt, was die Erde bietet. Mephisto beschreibt das Übel, von dem er den Faust kurieren will, so:
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne, / Und von der Erde jede höchste Lust, / Und alle Näh’ und alle Ferne / Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust
.
Wie soll man jemanden bezeichnen, dessen Verlangen über den physischen Umkreis, in dem er lebt, hinausgreift? Man bezeichnet ihn am besten als Meta-Physiker.
Aber hier müssen sogleich mögliche Mißverständnisse abgewehrt werden. Faust ist kein Metaphysiker im Sinne der scholastischen metaphysischen Antworten. Im ersten Monolog
Habe nun, ach! Philosophie
zeigt er sich als jemand, der von den philosophischen und theologischen Antworten unbefriedigt, gar angeekelt ist. Doch ein Metaphysiker bleibt er im Sinne des Fragens (
Wo fass’ ich dich, unendliche Natur?
) und im Sinne des Verlangens, das ihn über die bloß physischen Genüsse hinaustreibt. Er will begreifen, was die Welt zuinnerst zusammenhält, und er will vom Begriffenen zugleich ergriffen werden. Begreifen wollen und Ergriffenwerden vom Geist des Ganzen – das macht Faust also zum Metaphysiker. Und so wird von ihm gesprochen im »Prolog im Himmel«, wo es dann auch zur ersten der beiden berühmten Wetten kommt: die Wette zwischen Mephisto und dem
Herrn
. Später folgt dann die Wette zwischen Faust und Mephisto.
Die erste Wette, die Mephisto dem
Herrn
anbietet, läßt sich so formulieren: Mephisto wettet darauf, daß er auch einen so hartnäckigen Metaphysiker wie Faust in ein eindimensionales Wesen verwandeln kann:
Staub soll er fressen.
Mephisto will am Beispiel Fausts beweisen, daß dem Menschen besser gedient ist, wenn man ihm die metaphysischen Flausen austreibt und ihn zum ausgenüchterten Realisten macht. Besser bodennah als im problematischen Schwebezustand zwischen Himmel und Erde. Und der
Herr
will beweisen, daß man den Faust letztlich doch nicht von seinem geistigen
Urquell
abziehen und ihm nicht das Himmelslicht verdunkeln kann:
Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange, / Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
Es kommt hier zu einer aufschlußreichen Umkehrung der Hiob-Rahmenhandlung, auf die im »Prolog« angespielt wird. Beide Male lassen sich Gott und Satan auf einen Handel ein. In der Hiobsgeschichte will der Satan beweisen, daß er Hiobs Gottvertrauen zerstören kann, indem er ihm großes Unglück bringt. In der Faustgeschichte will Mephisto umgekehrt beweisen, daß er Faust von Gott wegführen kann, indem er ihm irdisches Glück bringt. Bei Hiob ist es das Unglück, bei Faust das irdische Glück, was zum selben Resultat führen soll: zur Preisgabe der spirituellen Dimension, zum Transzendenzverrat also.
In nachmetaphysischer Zeit kommt einem Mephisto ziemlich bekannt vor, und er ist himmelweit entfernt von allem, was man sonst unter dem Bösen versteht. Er ist nämlich ganz einfach die Verkörperung des Realitätsprinzips. Was dieses fordert, dazu will auch Mephisto verleiten: Man soll sein Verlangen nach Transzendenz aufgeben und sich um handfestere Genüsse kümmern. Mephisto wird zu Faust sagen:
Vom Kribskrabs der Imagination / Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang kuriert.
Mephisto redet wie die Positivisten, Soziologen oder Psychologen heutzutage. Auf dem Gebiet des Erkennens plädiert er für das Prinzip Reduktion.
Wer will was lebendigs erkennen und beschreiben, / Sucht erst den Geist heraus zu treiben, / Dann hat er die Teile in seiner Hand, / Fehlt leider! nur das geistige Band.
/
〈...〉
Das wird nächstens schon besser gehen, / Wenn ihr lernt alles reduzieren / Und gehörig klassifizieren.
Wie bei der Erkenntnis soll Faust auch bei den sinnlichen Genüssen zum Reduktionisten werden. Mephisto will ihn in ein robustes Triebbefriedigungswesen verwandeln – zu seinem eigenen Vorteil, wie er behauptet. Mephisto, als Verkörperung des Realitätsprinzips, bietet sich an als Arzt für Menschen mit problematischer Weltbindung. Das wird noch deutlicher, wenn man die zweite Wette, eben die zwischen Faust und Mephisto, genauer ins Auge faßt.
Faust ist verzweifelt. Er fühlt sich in einen
Kerker
eingesperrt; es gelingt ihm nicht, die
unendliche Natur
zu fassen, weder in der Erkenntnis, noch im Leben. Er will sich töten, denn immerhin scheint es
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