Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
die schönsten Stunden vergegenwärtigt.
In Goethes Bericht an Zelter wirkt die starke innere Bewegung noch nach, doch ebenso deutlich wird die Absicht, das Ganze einzubetten ins elementare Geschehen der Natur- und Menschenwelt.
Auf einem einsamen Bretterhäuschen, des höchsten Gipfels der Tannenwälder, rekognoszierte ich die Inschrift,
schreibt er und fährt dann fort:
Nach so vielen Jahren war denn zu übersehen: das Dauernde, das Verschwundene. Das Gelungene trat vor und erheiterte, das Mißlungene war vergessen und verschmerzt. Die Menschen lebten alle vor wie nach ihrer Art gemäß, vom Köhler bis zum Porzellanfabrikanten. Eisen ward geschmolzen, Braunstein aus den Klüften gefördert
〈...〉
Pech ward gesotten
〈...〉
und so ging’s denn weiter, vom alten Granit
〈...〉
Im Ganzen herrscht ein wundernswürdiges Benutzen der mannigfaltigsten Erd- und Bergoberflächen und Tiefen.
Das letzte halbe Jahr, reich an Tätigkeit, wie immer. Neugierig bis zuletzt. Er nimmt sich noch einmal Hegel vor, schreibt an Zelter: Die Natur tut nichts umsonst;
ist ein altes Philister Wort, sie wirkt ewig lebendig, überflüssig und verschwenderisch, damit das Unendliche immerfort gegenwärtig sei, weil nichts verharren kann. Damit glaube ich sogar mich der Hegelischen Philosophie zu nähern
. Das heißt also: die Natur ist nicht nützlich und zielstrebig, das denken bloß die
Philister
. Und so denken sie auch über die Kunst. Als müsse auch sie sich nützlich machen. Unsinn. Der wahrhafte Künstler weiß es ganz anders, schreibt er an Zelter. Er macht Kunst, so wie sie es von sich aus will, nicht wie der Künstler will oder gar das Publikum. Das begreift die Gegenwart nicht, weil ihr nur noch am Ökonomischen, am Nützlichen gelegen ist. Die Gegenwart wird beherrscht von den hastigen Philistern, alles
verlizoferisch
, wie es in einem Briefkonzept an den Großneffen Nicolovius heißt.
So wenig nun die Dampfwagen zu dämpfen sind, so wenig ist dies auch im Sittlichen möglich: die Lebhaftigkeit des Handelns, das Durchrauschen des Papiergeldes, das Anschwellen der Schulden, um Schulden zu bezahlen, das alles sind die ungeheuren Elemente.
Das ist die Welt, die einen gegenwärtig umtreibt und nicht zur Ruhe kommen läßt. Eine schlechte Zeit für eine Kunst des Innehaltens, der Sammlung und Versenkung, die nicht für den eiligen Gebrauch bestimmt ist, sondern die einen selber in Anspruch nimmt.
Für das größte Unheil unsrer Zeit,
die nichts reif werden läßt,
heißt es weiter in diesem Briefkonzept,
muß ich halten daß man im nächsten Augenblick den vorhergehenden verspeist
〈...〉
Niemand darf sich freuen oder leiden, als zum Zeitvertreib der übrigen.
In Goethes letztem Brief, geschrieben am 17. März 1832 an Wilhelm von Humboldt, fünf Tage vor seinem Tod, blitzt dieser Zorn auf die Gegenwart noch ein letztes Mal auf:
Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über die Welt
, doch gelassen fährt er fort:
und ich habe nichts angelegentlicher zu tun als dasjenige was an mir ist und geblieben ist wo möglich zu steigern und meine Eigentümlichkeiten zu cohobieren
〈reinigen〉
, wie Sie es, würdiger Freund, auf Ihrer Burg ja auch bewerkstelligen.
Goethes Leben kommt nun zum Ende. Die letzte Eintragung im Tagebuch am 17. März 1832, es ist ein Freitag:
Den ganzen Tag wegen Unwohlsein im Bette zugebracht.
Am Tag zuvor hatte er noch eine Kutschenfahrt unternommen und sich dabei wohl erkältet. Starke Brustschmerzen, Fieber, Druck im Unterleib. Der Hausarzt Vogel ist erschrocken: »Er schien einigermaßen verstört, vor allem aber frappierte mich der matte Blick und die Trägheit der sonst immer hellen und mit eigentümlicher Lebhaftigkeit beweglichen Augen«. Zwischenzeitlich kommt es zur Besserung, Goethe hat Lust, sich mit Besuchern zu unterhalten und macht wieder Scherze. Dieser Zustand hält nicht lange an. Am 20. März morgens wird Vogel gerufen: »Ein jammervoller Anblick erwartete mich! Fürchterlichste Angst und Unruhe trieben den seit lange nur in gemessenster Haltung sich zu bewegen gewohnten, hochbejahrten Greis mit jagender Hast bald ins Bett, wo er durch jeden Augenblick veränderte Lage Linderung zu erlangen vergeblich suchte, bald auf den neben dem Bette stehenden Lehnstuhl. Die Zähne klapperten ihm vor Frost. Der Schmerz, welcher sich mehr und mehr auf der Brust festsetzte, preßte dem Gefolterten bald Stöhnen, bald lautes Geschrei aus. Die Gesichtszüge waren verzerrt, das Antlitz aschgrau,
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