Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Wolf und Walther, in die Kutsche. Der Diener Krause ist dabei, Ottilie will er für dieses Mal nicht dabeihaben.
Warum Ilmenau? Dort hatte er versucht, den Silberbergbau wieder in Gang zu bringen, es war das wichtigste Projekt der ersten zwanzig Jahre in der Regierung. Eine schöne und eine schmerzliche Erinnerung. Er war häufig hier heraus gefahren, später hatte er auch den kleinen August mitgenommen. Zum ersten Mal war es im Mai 1776 gewesen, einige tolle Wochen hatte er mit dem jungen Herzog hier verbracht. Man war in der Umgebung herumgezogen, Gastmäler unter freiem Himmel, fröhliche Zechrunden, Streiche wurden verübt, einem Wirt wurden Weinfässer die Straße heruntergerollt. Aber auch sehr ernsthaft war es hier zugegangen. Es sollte ja wirklich etwas zustande gebracht werden. Versammlungen von Aktionären wurden abgehalten. Der frischgebackene Legationsrat hatte sich sogar in die Stollen vorgewagt. Dann bei der ersten großen Eröffnungsfeierlichkeit der Bergwerke 1784 war Goethe bei seiner Rede steckengeblieben. Ein schlechtes Zeichen. Denn es ging nicht gut aus mit dem hiesigen Bergbau. Es gab mehrere Unfälle, der schlimmste im Oktober 1796, katastrophale Wassereinbrüche, die Menschenleben kosteten und alles zerstörten, was bisher geschaffen worden war. Drei Jahre später ist für Goethe das ganze Unternehmen gestorben. Ein Stollen bestand noch und wurde bis 1812 unterhalten. Darum aber kümmerte sich Goethe nicht mehr. Dreißig Jahre ist es jetzt her, daß Goethe zum letzten Mal in Ilmenau gewesen war. Die Gegend war ihm wichtig geblieben, trotz des gescheiterten Bergbaus. Hier hat er die Steine kennen, fürchten und lieben gelernt, hier wurde er zum Mineralogen. Hier in der Nähe auf dem Schwalbenstein hat er den vierten Akt der »Iphigenie« gedichtet. Die Gegend um Ilmenau war auch verbunden mit der ersten Liebe in Weimarer Zeit. Charlotte von Stein hatte ihn hier einmal besucht. Die Höhle am Hermannstein, in einem Felsen am nordwestlichen Hang des Kickelhahn, wurde ihm zum Symbol des verschwiegenen Liebesglückes.
In einem Brief an Zelter schildert Goethe, wohl auch im Blick auf die Nachwelt, diese letzte Ausfahrt, und es hat sich noch eine zweite Schilderung des ortskundigen Verwaltungsbeamten Johann Christian Mahr erhalten, der Goethe begleitete beim Begehen der alten, überwachsenen Pfade und der neugebauten Wege.
Am zweiten Tag der Reise, Samstag den 27. August, gibt er die Kinder in die Obhut des Dieners und bricht mit Mahr zur Wallfahrt nach dem Kickelhahn auf. Dort auf der Höhe, beim Rondell, der wunderbare Rundblick.
Ach!
ruft er aus,
hätte doch dieses Schöne mein guter Großherzog Carl August noch einmal sehen können!
Und dann fragt er Mahr nach dem
kleinen Waldhaus,
das sich in der Nähe befinden müßte. Dorthin zog es ihn. »Wirklich«, so schildert Mahr die nun folgende Szene, »schritt er rüstig durch die auf der Kuppe des Berges ziemlich hochstehenden Heidelbeersträuche hindurch, bis zu dem wohlbekannten zweistöckigen Jagdhause, welches aus Zimmerholz und Bretterbeschlag besteht. Eine steile Treppe führt in den oberen Teil desselben. Ich erbot mich, ihn zu führen; er aber lehnte es mit jugendlicher Munterkeit ab 〈...〉 mit den Worten: ›Glauben Sie ja nicht, daß ich die Treppe nicht steigen könnte; das geht mit mir noch recht sehr gut.‹ Beim Eintritt in das obere Zimmer sagte er: ›Ich habe in früherer Zeit in dieser Stube 〈...〉 acht Tage gewohnt und damals einen kleinen Vers hier an die Wand geschrieben. Wohl möchte ich diesen Vers nochmals sehen‹«. Man steigt empor und da sind jene bleistiftgeschriebenen Verse, schon damals weithin bekannt, doch bis dahin noch in keiner autorisierten Werkausgabe enthalten:
Über allen Gipfeln ist Ruh ...
Goethe liest sie hier zum ersten Mal wieder, »und Tränen flossen über sein Wangen«, schreibt Mahr.
Das war der verschwiegene Höhepunkt dieser letzten Ausfahrt nach Ilmenau. Der Geburtstag selbst geht heiter vorüber. Frühstück mit den Kindern. Eine Blaskapelle rückt an und spielt »Nun danket alle Gott«. Mädchen in weißen Kleidern und Blumen im Haar sagen Gedichte auf. Als dies alles vorbei ist, stellt Goethe jenes Glas vor sich auf, das er vorsorglich mitgenommen hatte, das Geschenk der Amalie von Levetzow vom Marienbader Sommer 1823, mit den Initialen der Töchter. An die Mutter, nicht an Ulrike, schreibt er:
Heute
〈...〉
stelle ich jenes Glas vor mich, das auf so manche Jahre zurückdeutet, und mir
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