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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Weibes schuf, sich in sie verliebte und doch, soviel man weiß, keine Kinder mit ihr zeugte. Die praktische Nutzlosigkeit der Kunst also. Heine warnte vor dem Primat der sozialen Nützlichkeit und malte sich mit Schrecken aus, wie künftig, wenn diese Denkweise triumphieren sollte, das Papier der Gedichtbände zu Tüten verwendet würde, um Kaffee, Schnupftabak oder Mehl darin zu verpacken.
    Goethe selbst hatte die neuere deutsche Literatur kaum einer Erwähnung für würdig befunden. Die Spätromantiker waren ihm zu phantastisch und sentimental, andere zu fromm und brav, wieder andere zu realistisch oder politisch zu aufgeregt. Es gäbe in der deutschen Gegenwartsliteratur, sagte er, eine Welt entweder als blauen Dunst oder als Lazarett. Dagegen rühmte er die Autoren, die er in den letzten Jahren eifrig las; aus Frankreich Balzac, Stendhal, Hugo, aus England Scott und Byron und aus Italien Manzoni. Hier zeigte sich ihm pralles Leben und große Leidenschaft. Das war welthaltige Literatur, das war Weltliteratur. Deutsche Autoren der jüngeren Generation hatten also durchaus Grund, sich vom alten Meister schlecht behandelt zu fühlen, und manche zahlten es ihm heim. Menzel in Stuttgart, einer der einflußreichsten Literaturredakteure damals, brachte das Kunststück fertig, in seinem »Literaturblatt« den Tod Goethes einfach zu ignorieren. Er war ihm keine Notiz wert.
    Daß die gegenwärtigen Zeiten ihm nicht günstig sein würden, ahnte Goethe, und er schrieb es auch in seinem letzten Brief an Humboldt. Er spürte den neuerlichen Zeitenbruch, der mit der Julirevolution 1830 geschehen war. Der Siegeszug der Industrie, das Maschinenzeitalter, wachsende Mobilität, Beschleunigung, Verdichtung der Kommunikation, Wachstum der Städte, das Vordringen der Massen in Politik und Öffentlichkeit. Es begann wirklich ein neues Zeitalter, der Geist der Ökonomie, der sozialen Nützlichkeit und des praktischen Realismus hatten Konjunktur. Die Künste, Literatur und Philosophie verloren an Ansehen und Prestige, sie waren allenfalls nur noch eine schöne Nebensache.
    Daß ihn die neue Zeit nicht nur schreckte, sondern er auch Gefallen an ihrer Dynamik und Energie fand, beweist der zweite Teil des »Faust«. Doch die dunklen Seiten dieser Entwicklung gehören eben auch zum Thema des Stückes. Goethe gab sich keinen Illusionen hin: Nicht nur Philemon und Baucis, überhaupt die zarte Empirie der Poesie würde in Bedrängnis geraten und der Sinn fürs Handfeste, Praktische, Nützliche würde triumphieren. Und er ahnte auch, wie die modernisierte Sorge wachsen würde, denn die Technik schafft Erleichterung, aber auch neue Befürchtungen, neue Risiken. Bei Fausts Deichbau gegen die Elemente entsteht die Risikogesellschaft, in der die Sorge als Vorsorge allgegenwärtig ist:
Wen ich einmal mir besitze / Dem ist alle Welt nichts nütze, /
〈...〉
/ Sei es Wonne sei es Plage / Schiebt er’s zu dem andern Tage.
    Für die
ernsten Scherze
des zweiten Teils des »Faust« sah Goethe einstweilen weit und breit kein verständnisvolles Publikum. Und wirklich dauerte es ein halbes Jahrhundert, bis dieses Stück zum ersten Mal aufgeführt wurde. Mit seinem Nachruhm ging es eben doch so, wie er befürchtet hatte, der
Dünenschutt der Stunden
überschüttete ihn. Sein hundertster Geburtstag 1849 ging fast unbemerkt vorüber, während dann zehn Jahre später Schillers Geburtstag zu einem nationalen Feiertag wurde. Es war nach dem Scheitern der 48er Revolution das erste große Kräftesammeln der freiheitlichen und nationalen bürgerlichen Bewegung unter dem Stern dieses mitreißenden Freiheitsdichters.
    Für solche Art Feiern eignete sich Goethe ganz und gar nicht. Den
lieben Deutschen
, wie er sie ironisch nannte, traute er nicht über den Weg, er hielt sie sich eher vom Leibe. Und was die Freiheit betraf, so hat er sie politisch-rhetorisch nie gefordert, aber er hat sie gelebt. Die äußeren Umstände hatten ihn begünstigt. Doch auch für die ererbte Freiheit gilt, daß man sie erst wieder erwerben muß, um sie zu besitzen. Goethe hat seine Freiheit schöpferisch gebraucht. Er ist ein Beispiel dafür, wie weit man damit kommen kann, wenn man es als Lebensaufgabe annimmt, zu werden der man ist.

Ich erinnerte mich dabei eines schmeichelnden Vorwurfs, den
    mir einst ein Jugendfreund machte, indem er sagte: Das was
    Du lebst ist besser als was Du schreibst; und es sollte mir lieb
    sein, wenn es noch so wäre.
    Goethe am Reinhard,
    22. Januar

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