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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Werkes, das ihm einige Bekanntheit in politischen Kreisen verschaffte, der »Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk«. Darin finden sich Ratschläge für die Verbesserung der Lebensverhältnisse auf dem Lande. Gedacht war an eine Art Bildungsoffensive, getragen auch von den Geistlichen, die sich von spitzfindigen theologischen Dogmen lösen und sich statt dessen in praktischer Mitmenschlichkeit üben sollten.
    Goethe schätzte dieses Werk und ließ sich davon anregen zu der 1773 entstandenen Schrift »Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***«. An Schlosser selbst schätzte er die Verbindung von tüchtigem Realitätssinn und Enthusiasmus für die schönen Künste und Wissenschaften. Als Ehemann der Schwester aber hatte er ihn sich denn doch nicht gewünscht. Für diese Rolle erschien er ihm zu verschlossen, kühl, nüchtern, dann wieder in religiösen Dingen zu schwärmerisch, aber vor allem war Goethe, wie er in »Dichtung und Wahrheit« eingesteht, auch ganz einfach
eifersüchtig
. Darüber später mehr.
    Der als Anwalt gut etablierte Schlosser hatte dem Berufsanfänger Goethe anfangs einige Prozesse abgetreten. Doch bedeutsamer war: Durch Schlosser erhielt Goethe Einblick in die Hintergründe des Prozesses gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, die am 14. Januar 1772 öffentlich mit dem Schwert hingerichtet wurde – ein die ganze Stadt aufrührendes Ereignis, denn Hinrichtungen waren inzwischen selten geworden.
    Dieses Ereignis bildet den persönlichen Erfahrungshintergrund für die Gretchen-Tragödie im »Faust«, an dem Goethe Anfang der siebziger Jahre zu arbeiten begonnen hatte. Goethe hatte enge Berührung mit dem Ereignis, denn unter den direkt am Strafverfahren Beteiligten waren einige Verwandte und Bekannte, wie Ernst Beutler herausgefunden hat. Neben Schlosser, der als Anwalt beim Prozeß mitwirkte, war da noch der Onkel Johann Jost Textor, der als Mitglied des Gerichtes von Amts wegen beim Scharfrichter nachzufragen hatte, ob der sich in der Lage sähe, die Verurteilte mit einem Hieb zu exekutieren, und es war Schlosser, der im Auftrag des Scharfrichters den Antrag stellte, man möge die Hinrichtung besser dem Sohn überlassen. Der Stadtschreiber, der den Steckbrief ausgefertigt hatte, war der Hauslehrer der Goethe-Kinder gewesen. Der die Kindsmörderin bis zur Hinrichtung betreuende Arzt war Johann Friedrich Metz, ein Freund der Familie, der den kranken Goethe im Jahr 1769 behandelt und auch zu seinen alchemistischen Experimenten angeregt hatte. Auch mit dem obersten Richter, der über der Kindsmörderin zeremoniell den symbolischen Stab brach, war Goethe bestens bekannt. Mit ihm hatte er bei seiner eigenen Gretchen-Affäre zu tun, als gegen die erste Geliebte und ihre zweifelhaften Freunde die gerichtliche Untersuchung erfolgte.
    Teilabschriften der Protokolle des Prozesses haben sich in Goethes Besitz gefunden. Goethe war vertraut mit Einzelheiten aus dem Geständnis der Kindsmörderin. Das alles hat Spuren hinterlassen in der Gretchen-Tragödie. Als Vater des getöteten Kindes nennt die Brandt einen Goldschmiedegesellen, der nach Rußland weitergezogen war.
Ein flinker Jung / Hat anderwärts noch Luft genung. Er ist auch durch
, heißt es in der frühen Fassung des »Faust«. Der Mann habe sie durch ein Zaubermittel gefügig gemacht, erklärt sie. Bei der Verführung Gretchens durch Faust ist ebenfalls Gift im Spiel. Die Kindsmörderin beteuert, sie habe unter dem Zwange des Teufels gehandelt. In Goethes Stück wird Mephisto daraus.
    Man hat lange gerätselt, welche Szenen des »Faust« wohl zuerst entstanden waren. Vielleicht hat Ernst Beutler recht mit seiner Vermutung, daß es unter dem noch frischen Eindruck des Prozesses und der Hinrichtung der Kindsmörderin die Kerkerszenen gewesen sind, mit denen er begann. Der wirkliche Kerker, der Turm der alten Katharinenpforte, wo die Brandt auf ihren Tod wartete, lag in bedrückender Nähe, nur zweihundert Meter entfernt vom Haus am Hirschgraben.
    Goethe erlebte die düstere Zeremonie der Hinrichtung: Wie der oberste Richter, im roten Mantel, begleitet vom Henker und seinen Knechten die Verurteilte abholte, wie sie ins ›Armsünderstübchen‹ geführt wurde, während die Turmglocken anschlugen, wie die Henkersmahlzeit aufgetragen wurde, bei der die Richter, der Scharfrichter und seine Gehilfen, die Wachen und die Geistlichen kräftig zulangten und die Verurteilte nur einen Schluck Wasser zu sich nahm, wie diese dann in

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