Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
bürgerlichen Karriere arbeiten wollte. Und doch lief er stolz herum, ließ sich gerne sehen, elegant gekleidet, war er immer im Mittelpunkt, wo er auch auftrat. Man suchte seine Gesellschaft, und er suchte die Geselligkeit. Es wuchs die Zahl der Freunde, und was er schrieb, war eigentlich immer zunächst nur für sie bestimmt. Freundschaftsdienste und Liebesgaben.
Um Broterwerb muß er sich nicht sorgen. Das künstlerische Schaffen hat für ihn auch nichts damit zu tun. Finanziell ist es ein Zuschußgeschäft. Das erscheint ihm auch richtig so. Denn Schreiben und Dichten geschieht für ihn aus einem inneren Überfluß. Ist es auch überflüssig? Gelegentlich deutet er so etwas an, wenn er etwa seinen Götz sagen läßt:
Schreiben ist geschäftiger Müßiggang. Es kommt mir sauer an; indem ich schreibe was ich getan habe, ärgre ich mich über den Verlust der Zeit, in der ich etwas tun könnte.
Ähnlich äußert er sich in einem Brief an Betty Jacobi:
Zwar steht geschrieben: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Aber sind das unsere
Früchte
was wir aufs Papier sudeln, geschrieben oder gedruckt.
Solche Äußerungen verraten Selbstzweifel aus Sicht des sogenannten Tatmenschen. Doch solche Zweifel kommen ihm nur anfallsweise, sie beherrschen ihn nicht. In der Regel ist er von seinem Künstlertum ergriffen:
Denn in dem Menschen
, heißt es in der Schrift über das Straßburger Münster,
ist eine bildende Natur, die gleich sich tätig beweist, wann seine Existenz gesichert ist. Sobald er nichts zu sorgen und zu fürchten hat, greift der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff ihm seinen Geist einzuhauchen
.
Diese Formulierungen deuten bereits auf die Figur des Prometheus, den Goethe sich zum Schutzheiligen der künstlerischen Allmachtsgefühle erkoren hat. Vom schöpferischen
Genius
ist in Goethes Briefen aus dieser Zeit überhaupt häufig die Rede, im Kontrast zu den eher abfälligen Bemerkungen über des Vaters Bemühungen, ihn bürgerlich einzubinden. Er lasse es geschehen, schreibt er einmal, weil er sich seiner
Kraft
sicher sei:
Ein Riß! und all die Siebenfache Bastseile sind entzwei.
Daß eine solche Kraft in ihm steckte, merkten auch die anderen. Man reagierte, wie nicht anders zu erwarten, unterschiedlich darauf. Manchen war der genialische junge Mann zu sehr ein Leichtgewicht, andere ließen sich bezaubern. Besonders die Frauen, ob es nun Karoline Flachsland war, die Braut Herders in Darmstadt, oder ihre Freundinnen, die Hoffräuleins Henriette von Roussillon und Luise von Ziegler, oder Sophie von La Roche und ihre Tochter Maximiliane, die später einen Brentano heiratete. Sie alle schwärmten von diesem geistvollen jungen Mann, der sie mit Gedichten überhäufte. Aber auch Männer, nicht nur die jüngeren, fühlten sich von ihm angezogen. Goethe wirkte ganz einfach vielversprechend. Johann Georg Schlosser, mit Goethe seit Jugendzeiten bekannt und eine Weile lang befreundet (bis zur Heirat mit Cornelia), schrieb an Lavater, der auch um Goethe warb: »Wenn er 〈Goethe〉 einmal in der Welt glücklich wird, so wird er Tausende glücklich machen, und wird er’s nie, so wird er immer ein Meteor bleiben, an dem sich unsre Zeitgenossen müde gaffen und unsre Kinder wärmen werden. 〈...〉 es gehört eine gewisse Stärke der Seele dazu, sein Freund zu bleiben.«
Johann Georg Schlosser stammte, wie Goethe, aus einer angesehenen Frankfurter Juristenfamilie. Sein Vater war Ratsherr und Schöffe gewesen, und der Sohn war bereits ein erfahrener und erfolgreicher Advokat, als der zehn Jahre jüngere Goethe sich seit dem Herbst 1771 in diesem Beruf versuchte. Schlosser erfüllte gewissenhaft und mit Geschick seine beruflichen Pflichten, aber er fand darin doch nicht sein Genüge. Er war kein Amtsmensch mit Haut und Haaren. Die Wahrheitsliebe ging ihm über alles, und deshalb empfand er bisweilen Unbehagen bei seinem Advokatentum: »Hier macht ein listiger Schurke meine schuldlose Zunge durch heimliche Wege zum Werkzeug verborgenen Unrechts.«
Schlosser war literarisch hochgebildet, ein Kenner der englischen, französischen und italienischen Literatur, die er auch übersetzte. Er schrieb englische Verse im Stile Popes, französische Epigramme nach dem Vorbild Voltaires und italienische Arien in der Manier Metastasios und versuchte sich an einer deutschen Übersetzung der »Ilias«. Er war ein vielseitiger Schöngeist und ein aufgeklärter Moralist mit pragmatischem Realitätssinn, Verfasser eines
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