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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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ihn wohl ziemlich geschulmeistert hat. Anders als in der Straßburger Zeit begehrt er dagegen auf. Herder hatte den Götz heruntergesetzt, er antwortet:
Ich setze ihn weiter schon herunter als Ihr
. Kritik überbietet er mit Selbstkritik, wenn er es sich auch erspart, diese im Einzelnen zu formulieren. Herder hatte geschrieben, daß Stück sei zu ausgedacht. Goethe antwortet:
Das ärgert mich genug
. Er verweist auf »Emilia Galotti«, ein Lieblingsstück Herders, das sei doch auch bloß ausgedacht! Anderen gegenüber fällt Herders Urteil über das Stück günstiger aus. Seiner Verlobten Karoline Flachsland kündigt er an, daß sie bei der Lektüre des »Götz« »einige himmlische Freudenstunden« haben werde. »Es ist ungemein viel Deutsche Stärke, Tiefe und Wahrheit drin, obgleich hin und wieder es auch nur gedacht ist.« So war es immer bei Herder. Frei heraus konnte er nicht loben und bewundern. Es mußte immer ein wenig Gift beigemischt werden.
    Während das Stück noch bei den Freunden kursierte, war Goethe schon dabei, zu feilen und zu verbessern. Merck, dem das Stück sogleich gut gefallen hatte, dauerte die Umarbeiterei zu lange. Er drängte zur Veröffentlichung. Die Sache werde dadurch nur anders und selten besser. »Bei Zeit auf die Zäun’, so trocknen die Windeln!«, sagte er.
    Goethe behauptet in »Dichtung und Wahrheit«, er habe den »Götz« so sehr umgeschrieben, daß
ein ganz erneutes Stück vor mir lag
. Das konnte er nur behaupten, weil zu diesem Zeitpunkt die ursprüngliche Fassung noch gar nicht veröffentlicht war. Zieht man diese aber zum Vergleich heran, bemerkt man, daß es im Wesentlichen dasselbe Stück geblieben ist, nur sprachlich geglättet, gekürzt; einige wenige Szenen wurden umgestellt oder gestrichen, besonders im letzten Akt, wo in der ersten Fassung sich die Handlung um Adelhaid und die Zigeuner zu sehr ausgeweitet hatte.
    Im Frühjahr 1773 erschien das Stück dann, im Selbstverlag. Die Resonanz war gewaltig. Über Nacht eroberte sich Goethe das Lesepublikum in Deutschland. Der Autor hat ein Werk geschaffen, danach beginnt die andere Geschichte: das veröffentlichte Werk verändert den Autor.
    Anmerkungen

Siebtes Kapitel
    Goethes Lebensstil: geschäftiger Müßiggang. Dichten ohne
    Profession. Johann Georg Schlosser. Der Kindsmordprozeß und die
    Gretchen-Tragödie im »Faust«. Johann Heinrich Merck. Bei den
    Empfindsamen in Darmstadt. Der Wanderer. Der Rezensent.
    Goethes frühe Ästhetik. Eine Sommerliebe in Wetzlar.
    Goethe zeigte bei seinem Advokatengeschäft keinen sonderlichen Ehrgeiz. Doch auch beim Malen, Zeichnen und Schreiben, dem er sich mit Hingabe widmet, sieht er sich noch weit von der Meisterschaft entfernt. Selbstkritisch schreibt er im Sommer 1772 an Herder, er sei überall nur
herumspaziert
und habe nirgends richtig
zugegriffen.
Das aber sei
das Wesen jeder Meisterschaft
. Was ihm nach eigenem Urteil fehlt, sind Ausdauer und Gründlichkeit. Es ist kein Gefühl von Arbeit dabei, weil ihm alles einfach zu leicht fällt. Bei den Gedichten ist es so, als wehten sie ihn an. Bisweilen notiert er sie so eilig, daß er sich noch nicht einmal die Zeit nimmt, das Papier ordentlich zu falten und richtig aufs Schreibpult zu legen. Er kann in geselliger Runde auf Zuruf dichten, es ist ein Spiel, manchmal auch ein amourös getöntes, an eine Veröffentlichung ist dabei zunächst nicht gedacht. Auch der »Götz« war in einem Zuge entworfen und in kurzer Zeit niedergeschrieben worden und zirkulierte unter den Freunden, wobei zunächst noch nicht ganz klar war, ob er jemals veröffentlicht würde.
    Literarisch gilt Goethe vorerst allenfalls als Geheimtip. Als Schriftsteller fühlt er sich eigentlich nicht. Seine Kräfte spürt er sehr wohl, aber er weiß, daß sie noch diszipliniert werden müssen. In einem Brief an Herder verwendet er erstmals das Bild des Wagenlenkers, das er bei Pindar gefunden hatte:
Wenn du kühn im Wagen stehst, und vier neue Pferde wild unordentlich
sich an deinen Zügeln bäumen, du ihre Kraft lenkst, den austretenden herbei, den aufbäumenden hinabpeitschest, und jagst und lenkst, und wendest, peitschest, hältst, und wieder ausjagst, bis alle sechzehn Füße in einem Takt ans Ziel tragen – das ist Meisterschaft.
Dieses Bild wird er noch häufig verwenden, besonders eindringlich im »Egmont« und am Schluß von »Dichtung und Wahrheit«.
    In Frankfurt wunderte man sich, daß dieser hochbegabte junge Mann noch immer nicht an seiner

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