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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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es mit diesem Ekel auf sich? Wie ernst, wie existentiell bedrohlich war er für Goethe selbst? Goethe geht zunächst auf Abstand und verweist historisierend auf den geistesgeschichtlichen Hintergrund, auf die englische Melancholie, die damals in Mode kam, den Hamlet-Kult, die Ossian-Verehrung. Der englischen Schwermut hält er zugute, daß sie nicht aus kleinlich engen Verhältnissen erwuchs, vielmehr der Schatten gewesen sei, den große Taten oder bedeutende Handlungsmöglichkeiten werfen, Schwermut im großen Stil, auf Weltniveau also. So etwas konnte durchaus
imposant
wirken. Der
düstere Überdruß des Lebens
bei den jungen Leuten in Deutschland sei von anderer Art gewesen.
Wir haben es hier mit solchen zu tun, denen eigentlich aus Mangel von Taten, in dem friedlichsten Zustande von der Welt, durch übertriebene Forderungen an sich selbst das Leben verleidet.
Man habe sich von Forderungen quälen lassen, die nicht aus dem tätigen Leben, sondern aus der Literatur gezogen waren, weshalb das Ganze auch nicht mehr gewesen als eine literarische Mode.
    Gilt das auch für ihn selbst? Im Gespräch mit Eckermann hat er das später abgestritten:
Auch hätte ich kaum nötig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trübsinn aus allgemeinen Einflüssen meiner Zeit und aus der Lektüre einzelner englischer Autoren herzuleiten. Es waren vielmehr individuelle, nahe liegende Verhältnisse, die mir auf die Nägel brannten.
    Welche naheliegenden Verhältnisse? Es war nicht mehr das Verhältnis zu Lotte, nicht das zu Maximiliane, und es waren auch nicht die Verwicklungen im Hause Brentano, was ihm auf den Nägeln brannte. Das waren nur Anlässe.
    Es habe ihn damals das
taedium vitae
ergriffen, schreibt er vier Jahrzehnte später an Karl Friedrich Zelter nach dem Selbstmord von dessen Sohn. Wer darunter litt, sei zu bedauern, nicht zu schelten.
Daß alle Symptome dieser wunderlichen, so natürlichen als unnatürlichen Krankheit auch einmal mein Innerstes durchrast haben, daran läßt Werther wohl niemand zweifeln
.
    Ein Krankheit also, keine Mode.
    Auch nicht ein metaphysisches Schicksal, wie man etwa bei Gundolf lesen kann, für den Werther der »Titan der Empfindung« ist im »Widerstreit einer kosmisch expansiven Lebensfülle mit den Beschränkungen des Augenblicks«.
    In Goethes rückblickender Selbstdeutung ist das
taedium vitae
prosaisch, fast klinisch dargestellt. Bei der Krankheit liegt der Defekt nicht in der Welt sondern im Subjekt. Der Lebensekel verstanden als Krankheit sagt nichts aus über den Wert des Lebens, sondern nur über die Dissonanz im Leidenden, der offenbar keinen angemessenen Zugang zum Leben findet. Der Krankheitsbegriff erhebt Einspruch dagegen, daß der Ekel zum Erkenntnisorgan aufgewertet wird. Der Ekel, so lehrt eine traurige Philosophie und Ästhetik, gibt Auskunft über die angeblich wahre, nämlich nichtswürdige Natur des Lebens. Mit anderen Worten: Der Ekel hat Recht. Das nun ist genau die Position, der sich Goethe in den späteren Jahren keinesfalls anschließen will. Bloß keine Verurteilung des Lebens! Deshalb nennt er rückblickend seine Anwandlungen von Lebensekel – eine Krankheit.
    Das Lebensbehagen, heißt es in »Dichtung und Wahrheit«, beruht auf der verläßlichen und eingewöhnten
Wiederkehr der äußeren Dinge
, dem Wechsel von Tag und Nacht und der Jahreszeiten, dem Wechsel der Beschäftigungen und Personen, den eingespielten Verhaltensformen und Routinen. Das ermöglicht den geregelten Weltbezug. Nun kann es aber sein, daß gerade diese Wiederkehr des Gleichen zur Qual wird. Was einen Anhalt im äußeren Leben geben soll, stößt ab. Man kann innerlich nicht daran
Teil nehmen
. Man ist unempfänglich für
so holde Anerbietungen
des rhythmisch wiederkehrenden Lebens. Es gibt Leute, schreibt Goethe, die hängen sich auf, weil sie davon angewidert sind, daß täglich die Sonne aufgeht und sie sich täglich an- und ausziehen müssen.
    Auch die Liebe, die sich zunächst als etwas Einmaliges, Unvorhersehbares darbietet, gerät in die regelmäßige Wiederkehr. Die erste Liebe mag noch einzig sein, beim zweiten und dritten Mal geht schon der höhere Sinn der Liebe verloren.
Der Begriff des Ewigen und Unendlichen, der sie eigentlich hebt und trägt, ist zerstört, sie erscheint vergänglich wie alles Wiederkehrende.
Liebe ist nicht unendlich reich, sondern spielt ihr begrenztes Repertoire. Die Liebe, die am Anfang alles neu macht, endet als liebe Gewohnheit. Wer davon abgestoßen ist, schlägt

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