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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Schwarze, auch wenn sie nicht zielen.
    Weil die anderen darüber staunten, fand er es selbst schließlich auch erstaunlich, mit welcher spielerischen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit ihm die Werke bisher gelungen waren. Seine Gedichte nannte er Gelegenheitsgedichte. Die besten wirken, als hätten sie ihn angeflogen. Etwas Gewordenes, nichts Gemachtes. Und wirklich hat der junge Goethe mit seinen Werken nicht gerungen. Entweder es gelang im ersten Wurf, oder er ließ es liegen, bis wieder ein guter Moment dafür kam. So wurde manches nie fertig, anderes dann doch, wenn es auch ein ganzes Leben dauerte, wie beim »Faust«. Wenn es stockte, fing er etwas Neues an. Überhaupt liebte er es anzufangen. Er war ein notorischer Anfänger.
    Goethe war voller Ideen. Nicht aus allen konnte er etwas machen. Es waren ganz einfach zu viele. Deshalb fiel es ihm auch leicht, frühere Versuche zu vernichten. Er konnte sicher sein, daß immer etwas nachkam. Er konnte Brücken hinter sich abbrennen, weil er sich in unbekümmerter Vorwärtsbewegung befand. Man lebt nach vorne und versteht nach hinten. Solches Verstehen hat noch Zeit: Später wird in ihm dann das väterliche Erbteil erwachen und er wird pedantisch alles sammeln, was ihn betrifft.
    Seine frühe Selbstsicherheit hatte etwas Traumwandlerisches. Er konnte sich gar nicht vorstellen, nicht auf der richtigen Spur zu sein. Er wollte der Notwendigkeit folgen, die in ihm selbst liegt, er nennt das: sich nach der eigenen Natur richten. Gewiß begünstigte ihn der familiäre Wohlstand, denn mit dieser Sicherheit im Rücken mußte er seine Lebensplanung nicht auf Berufskarriere oder Gelderwerb verengen. Er widmete sich der Bildung, nicht der Ausbildung. Er wollte kein Berufsmensch werden, und als er dann doch als Advokat tätig wurde, betrieb er auch dieses Geschäft auf seine genialische Art, verspielt und einfallsreich. Die Kollegen und Klienten meinten: zu einfallsreich. Er wirkte brillant, aber ein wenig unsolide. Seine Eingaben waren gut formuliert, hatten aber bei Gericht nicht die erhoffte Wirkung. Er selbst, der nichts aus
Profession
tun wollte, hegte den Verdacht, es mangele ihm an Gründlichkeit. Im Juristischen sowieso, aber auch sonst. Deshalb sein wunderliches Bestreben, sich als ein Dichter zu zeigen, der zwar Regeln brechen kann, sie aber auch bis zur Vollkommenheit und Pedanterie beherrscht. Seine naturkundlichen Unternehmungen später sind auch als lebenslanger Versuch zu verstehen, den Beweis der Gründlichkeit zu erbringen, aus der Befürchtung heraus, daß man sie ihm womöglich nicht zutraut.
    Es gibt Augenblicke, da der junge, noch unbekümmerte Goethe an sich zweifelt. Doch es sind nicht die Anderen, die ihn verunsichern, sondern es kann diesem jungen Mann mit so reicher Einbildungskraft bisweilen geschehen, daß er
sich selbst ausbleibt
, wie er das nennt. Augenblicke der Depression, der Leere. Er nennt sie Krankheit. Der »Werther« erzählt davon. Denn genau besehen ist es gar nicht so sehr die Liebe, die Werther unglücklich macht, sondern das in ihn einsickernde Gefühl von Leere in dem Augenblick, da die großen Gefühle verglimmen. Das ist die wahre Krise, die Goethe, wie er in »Dichtung und Wahrheit« bekennt, selbst auch erlebt hat. Er nennt sie
taedium vitae
, Lebensekel. Der Lebensekel entsteht nicht bei zu großen Lebenslasten, labyrinthischen Verhältnissen oder akuten Unglücksfällen. Nicht das Schwere und Mannigfaltige ist das Problem, sondern das Leere und Eintönige. Es droht also nicht das Zuviel, sondern das Nichts. Hier gibt es keine wild gestikulierende Verzweiflung, sondern nur lähmende Langeweile. Goethe schildert, wie er sich, um solcher Leere zu entkommen, zu pathetischen Gesten aufraffte und einen Dolch bereitlegte, wie er sich die prachtvollen Selbstmorde großer Helden der Geschichte zum Vorbild nimmt, einen Kaiser Otho, der sich ins Schwert stürzt, oder einen Seneca, der sich in der Badewanne die Pulsadern öffnet. Verzweiflungsakte, wie sie im Buche stehen. Das waren tätige Leute, sich selbst aber macht er zum Vorwurf, daß er verzweifelte aus Untätigkeit. Das änderte er, indem er sich zur Niederschrift des »Werther«-Romans aufraffte. Indem er über die
hypochondrischen Fratzen
schrieb, warf er sie weg und
beschloß zu leben
, schreibt er in »Dichtung und Wahrheit«. Aber vielleicht überdauerte etwas von diesem Lebensekel vor der Leere in jener späteren Unruhe, gegen welche dann Ordnungsliebe und Pedanterie

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