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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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aufgeboten werden.
    Solcher periodisch auftretende Lebensekel ist eigentlich nicht erklärungsbedürftig, denn er gehört zum Menschenlos. Erklärungsbedürftig wäre es eher, wenn er sich niemals zeigte. Doch es gibt da noch eine andere Art des Lebensekels, die überrascht. Nicht der Ekel vor der Leere, sondern vor der leichten Fülle, davor, daß alles so spielerisch, so widerstandslos gelingt. Das war ja schon beim Knaben so. Er konnte keine Geschichte hören, ohne sie fortzuspinnen und eine neue Geschichte daraus zu machen. Er schrieb sich seine eigene Bibel; das Puppenspiel verzauberte ihn, und sogleich machte er sich daran, die anderen zu verzaubern. Zu ungeduldig für Gedankensysteme, griff er sich ein paar Gedanken heraus und machte etwas Eigenes daraus. So verfuhr er zum Beispiel mit Spinoza oder Kant, die er nie gründlich gelesen hatte. Sein Spieltrieb war auch hier übermächtig. Dazu paßt auch die Lust sich zu verkleiden. Friederike in Sesenheim war er zuerst in der Verkleidung eines armen Theologiestudenten begegnet. Er wollte nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst etwas vorspielen. Wer sich etwas vorspielt, braucht sich nichts vorzumachen: Der spielende Mensch steht jenseits von Wahrheit und Lüge.
    Vor dem Spiel selbst brauchte er keinen Ekel zu empfinden, aber vor der zuweilen unerträglichen Leichtigkeit seines Seins und Schaffens. Es hatten ja auch fast alle Lebensäußerungen und Tätigkeiten bei ihm etwas Spielerisches, besonders die schöpferischen. Das Schreiben konnte er bis weit in die Weimarer Zeit nie als Arbeit ansehen, auch wenn er es mit erschöpfender Hingabe betrieb. Es fiel ihm ganz einfach zu leicht. Deshalb war für ihn hier etwas Widerstandsloses im Spiel, auch wenn es um seelische Belastungen, wie etwa beim »Werther«, ging. Der Spielwille gibt auch noch den Lasten etwas allzu Leichtes.
    Zum Eindruck des Leichten gehört auch, daß sich alles den Worten zu fügen scheint, daß für alles eine Sprache bereitliegt. Der junge Goethe mit seinem Genie hat das Gefühl, es begegne ihm nichts, dem er nicht gewachsen wäre. Darin liegt etwas Unbekümmertes, fast Kindliches. Herder nennt es herablassend das »Spatzenhafte«. Und wirklich, der junge Mann kann übersprudeln, sich hingeben, mit Ideen und Einfällen nur so um sich werfen. So war das in den ersten genialischen Jahren. Doch schon vor Weimar bemerkt man gelegentlich sein Bemühen, an sich zu halten, sogar eine absichtsvolle Steifheit. Es hatte ihn jener wunderliche Ekel vor der leichten Fülle angerührt. Was so leicht von der Hand geht, ist noch nicht richtig zur Welt gekommen. Zur Welt als Widerstand. Diese aber sucht der junge Goethe, dieses Glückskind, dem bisher alles so mühelos gelungen ist, und deshalb folgt er dem Ruf nach Weimar. Er wollte sich endlich auf ein Verhältnis einlassen, dem er noch
von keiner Seite gewachsen war.
    Goethe auf dem Weg nach Weimar war schon ein europaweit berühmter Autor. Doch er hatte nicht das Gefühl, schon etwas getan und geleistet zu haben.
    Anmerkungen

Elftes Kapitel
    Die Verwicklungen bei Hofe. Die Affäre mit Wieland.
    Die erste Nähe mit Charlotte von Stein. Die Tollheiten am Anfang.
    Klopstocks Tadel und die Zurückweisung. Herders Berufung.
    Am 7. November 1775 kam Goethe in Weimar an, in Begleitung des jungen Kammerherrn von Kalb, der wenig später seinem Vater als Kammerpräsident, also als Leiter der Finanzverwaltung des Landes, nachfolgte. Man fuhr teilweise dieselbe Strecke wie vor zehn Jahren bei der Reise zum Studium in Leipzig. Damals hatte die Mutter den Jungen in Decken eingewickelt, wie ein Kind. Bei einem Achsbruch hatte er tüchtig mit angepackt, um den Wagen wieder flottzumachen, und hatte sich dabei eine Zerrung in der Brustgegend zugezogen, an der er noch lange laborierte. Das war sein erster Härtetest gewesen.
    Er stand am Anfang einer Lebensperiode, in der er lernte, das ihm
inwohnende dichterische Talent ganz als Natur zu betrachten
, so leicht und
nachtwandlerisch
gelang ihm sein Dichten. Aber gerade deshalb mochte er es sich nicht als Verdienst anrechnen. Es gehörte für ihn zu einer Lebendigkeit, die sich Ausdruck verschaffte, als Arbeit hatte er es nie empfunden.
Durch Feld und Wald zu schweifen / Mein Liedchen weg zu pfeifen, / So ging’s den ganzen Tag.
    Goethe begab sich nun also auf eine Reise, um nach dem freien Spiel der Einbildungskräfte womöglich die Kräfte für die
Weltgeschäfte
zu erproben;
so trat mir
〈...〉
der Gedanke

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