Goethe war’s nicht
Schließlich steht in keiner Verordnung, dass man sich strafbar macht, wenn man in einem Entführungsfall die Polizei nicht einschaltet. Das dürfte auch für Polizisten selbst gelten.“
Herr Schweitzer nickte nachdenklich mit dem Kopf. „Also?“
„Tja, wird wohl das Beste sein, denke ich – BKA.“
Schmidt-Schmitts privates Handy ertönte. Doch es war nur sein befreundeter Kollege Claus, der ihm mitteilte, dass die Personen, um deren Überprüfung er gebeten hatte, absolut clean waren. „War wohl auch nix. Frau Saric, Reiner Bauer, Heinz Kaltenthal, die Renovierungsfirma – allesamt sauber.“
„Wäre auch zu schön gewesen. Das war’s dann wohl?!“
Am Fahrradverleih, an dem sich das Herbstlaub aufgetürmt hatte, drehten sie um. Fast synchron, wie siamesische Zwillinge, hielten sie wie elektrisiert mitten in ihren Bewegungen inne.
„Das gibt’s doch nicht“, entfuhr es Herrn Schweitzer, der gebannt auf den Parkplatz am Goetheturm stierte, während des Oberkommissars rechte Hand zur Dienstpistole schnellte. Vom 43 Meter hohen Goetheturm selbst war hinter den Baumwipfeln nur dessen Spitze zu sehen.
„Laus mich doch der Affe! Der Reggae-Käfer von Gil. Du bleibst hier!“ Mit entsicherter Waffe näherte er sich dem Objekt.
Nach einer Umrundung gab er Entwarnung, steckte die Waffe wieder ein und Herr Schweitzer durfte kommen. Auch er nahm das Wageninnere in Augenschein. Keine Leichen zu sehen. „Im Kofferraum kann auch keiner liegen. Nicht in einem Käfer. Höchstens zerstückelt.“
Unwillkürlich musste Schmidt-Schmitt kurz lachen. „Oh, da! Sieh mal! Ist das nicht auch der Mercedes von Kuno Fornet?“
Herr Schweitzers Augen folgten der ausgestreckten Hand zur gegenüberliegenden Seite des Areals. „Oh. Stimmt, das Nummernschild.“
Diesmal näherten sie sich dem Wagen gemeinsam und der Oberkommissar ließ die Pistole im Halfter stecken. Der Mercedes war unverschlossen. Als sie den Kofferraum öffneten, hielten beide die Luft an. Auch er: leichenleer. Uff.
Schmidt-Schmitt: „Seltsam, seltsam. Die werden doch nicht so dämlich sein und sich tatsächlich in der Gartenanlage versteckt halten.“
„Warum nicht“, flachste Herr Schweitzer. „Es soll sogar Leute geben, die sich für eine Darmspiegelung mit dem Arsch zum Spiegel bücken.“
„Echt?“
„Klar, Mann.“
Nun, da mit der Entscheidung, dem BKA die weitere Verantwortung zu übertragen, alle Last von ihren Schultern genommen worden war, konnten sie auch wieder ihre dummen Sprüche kloppen.
Schmidt-Schmitt konterte: „Und von wegen Goethes Turm dort hinten: Der war’s nicht.“
„Wer war’s nicht?“
„Goethe war’s nicht. Definitiv nicht.“
„Warum bist du dir da so sicher?“, spielte Herr Schweitzer die nächste Spaßkarte aus.
„Weil der nämlich tot ist. Das weiß ich sicher, ich kenn mich aus im Worschtkessel. Ich war bei Goethes Beerdigung.“
„Warst du nicht!“
„War ich doch!“
„Warst du nicht!“
„Doch!“
„Komm“, beendete Herr Schweitzer den Schabernack, „gehen wir zu Maria und teilen ihr unsere Entscheidung mit. Ein Quäntchen Schlaf könnte ich auch ganz gut gebrauchen nach dem ganzen aufreibenden Hickhack die letzten zwei Tage. Ich bin fix und alle.“
Zwei Stunden später, die Sonne schien in ihrem herrlichsten Herbstgewand, rückte die Kavallerie an; sprich: Die ersten BKA-Leute trafen bei den Fornets ein.
Während die beiden Autos zur KTU verfrachtet wurden, standen die beiden Freunde dem Chefermittler Dieter Wagner Rede und Antwort. Kein Detail wurde verschwiegen. Wagner bezeugte vollstes Verständnis dafür, so lange mit der Entscheidung, das BKA hinzuzuziehen, gewartet zu haben. Er war einer von den Guten, Menschlichen. Umgehend wurde auch der Kontakt zur Teutonischen Staatsbank hergestellt. Ein heißer Draht auf höchster Ebene, sozusagen. Das mit den fünf Millionen war schnell geklärt. Nicht mal das Okay des Aufsichtsrates war vonnöten. Was aber nicht wirklich verwunderte, denn Aufsichtsratsposten wurden oft von abgewrackten Politikern besetzt. Böse Zungen behaupten, auf diese Art und Weise würden Bestechungsgelder verschleiert. Ist nicht unser ehemaliger Ministerpräsident Roland Koch jetzt bei Bilfinger Berger, jenem Unternehmen, das die neue Startbahn am Flughafen baute? Tz, tz, tz, ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Dieter Wagner strahlte Kompetenz aus. Groß, breitschultrig und mit akkurat kurz geschnittenem schwarzem Haar wirkte er wie aus einem Lehrfilm.
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