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Goethe war’s nicht

Goethe war’s nicht

Titel: Goethe war’s nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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denn schließlich war die Nachricht ausschließlich für ihn bestimmt.
    Als er das flache Gebäude einmal umrundet hatte, ohne fündig zu werden, war er schon in Versuchung, auf dem
lieben
Handy Schmidt-Schmitt diesen Umstand mitzuteilen. Doch dann las er auf dem Musikplakat vom Jazzkeller die mit rotem Filzstift und in Großbuchstaben geschriebene Notiz
Rückseite
. Herr Schweitzer trat näher und löste vorsichtig die vier Streifen Klebeband.
    Er ging zur nächsten Straßenlaterne. Zuerst fiel ihm das Wort
Standort
auf. In derselben Größe war noch
Koffer abstellen
zu lesen. Letzteres hatte an einem Baum hinter einer Bank im Wald zu geschehen. Dazwischen lagen etliche skizzierte Straßennamen. Uiuiui, dachte Herr Schweitzer, das kann sich aber ziehen. Er hatte keine Ahnung vom Maßstab der Karte, doch er ging davon aus, dass er sich gerade im Zentrum von Hofheim befand und sich der Wald an der Peripherie befinden musste. Nun ja, was soll’s.
    Die Karte in der Hand marschierte er los. Zuerst die Elisabethenstraße wieder zurück bis zur Neugasse. Dann mäandernd die Oskar-Meyrer-Straße stadtauswärts. Der Regen hatte aufgehört, doch ein schneidender Wind, ausgerechnet direkt von vorne, ließ ihn den Kopf einziehen. Bisher war er noch keiner Menschenseele begegnet. Herr Schweitzer rief seinen Kumpel Schmidt-Schmitt an und berichtete ihm über die Vorgaben der Entführer.
    „Okay“, antwortete dieser, „verstanden. Sei vorsichtig, wir bleiben in deiner Nähe. Wenn du das letzte Haus hinter dir hast, ruf mich wieder an. Wir fahren schon mal vor. Krause und sein Team wissen immer, wo du dich gerade aufhältst.“
    „Die sind auch da?“
    „Logisch, was sonst?!“
    „Äh gut, dann bis gleich.“
    Etwas später, in der Rossertstraße, war der Wind kaum noch zu spüren und es ging leicht bergab. Doch der Koffer wurde mit jedem zurückgelegten Meter immer schwerer und die Gegend noch einsamer, als sie ohnehin schon war. Kleine Ein- und Zweifamilienhäuser hatten nach der Schule auf der linken Seite die auch nicht gerade in den Himmel schießenden Mietshäuser abgelöst. Man konnte die Enge des Kleinbürgertums förmlich greifen. Zur Straßenseite hin befanden sich auf dem engen Bürgersteig in regelmäßigen Abständen kleine entlaubte Bäumchen, keines größer als vier Meter. Nicht ein einziges Fenster war erleuchtet. Falls ein Filmteam mal eine Kulisse für eine entmenschte Welt benötigte, hier lägen sie goldrichtig. Immer öfter wechselte Herr Schweitzer den Geldkoffer von einer Hand in die andere. Von Dieter Wagner und seinem Einsatzteam war weit und breit nichts zu sehen.
    Im nächsten Straßenknick musste er nach links und gleich wieder nach rechts in die Kurhausstraße. Wieder änderten sich die Wohneinheiten. Flache Bungalows schmiegten sich an die Straße. Die üppigen Gärten lagen wohl dahinter, mutmaßte Herr Schweitzer. Auch gehörten die hier parkenden Autos schon zur gehobenen Mittelklasse. Mindestens. Fast am Ende, unter der vorletzten Straßenlaterne, stand vor einem Haus, das offensichtlich gerade renoviert wurde, ein hellblaues Dixi-Klo. Die haben wohl keine Gästetoilette zum Ausweichen, war Herrn Schweitzers erster Gedanke. Nicht so wie bei der Familie Fornet, bei denen ja auch gerade das Badezimmer renoviert wurde. Aber die Fornets mussten zum Pinkeln immerhin nicht
uff die Gass
, wie man in Hessen zu sagen pflegte.
    Als er die letzte Laterne hinter sich gelassen hatte, passierten zwei Dinge gleichzeitig. Erstens hörte der Asphalt auf und der von Pfützen übersäte Waldweg begann. Das war aber nicht weiter verwunderlich, denn so stand es auch auf seiner Skizze. Das Zweite war ein Gedanke, der Herrn Schweitzer wie ein Blitz durchs Hirn schlug und irgendetwas mit irgendwelchen himmelschreienden Ungereimtheiten in diesem Entführungsfall zu tun hatte, und der sich jedoch leider genauso blitzschnell wieder verflüchtigte. Dabei war er, der Gedanke, für eine hundertstel Sekunde so klar, wie nur irgendwas klar sein konnte. Eine Ungereimtheit ähnlich der, als würde ein Hund miauen, ein Affe zwitschern oder ein Politiker mit wenigen präzisen Worten klare Aussagen von sich geben.
    Ein paar Schritte lang versuchte er vergebens, wenigstens die Schmauchspuren dieses Gedankens zu erschnuppern.
    Dann musste er wie vereinbart Schmidt-Schmitt anrufen. „Gude, bin jetzt im Wald. Gleich müsste ich an dem Hotel vorbeikommen.“
    „Ich weiß, wir können dich sehen.“
    „Bitte? Wie denn das?“

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