Goethe war’s nicht
schaute entgeistert die Behelfstoilette an. Vor Herrn Schweitzers innerem Auge spulte sich eine Szene ab, die noch gar nicht so lange zurücklag. Eine Szene, deren penetrante Unlogik nachgerade himmelschreiend war. Zur Sicherheit wiederholte er den Film in Zeitlupe. Ja, das war es, sagte er sich, schlug sich an die Stirn und setzte sich auf die kniehohe Mauer des im Renovierungszustandes befindlichen Bungalows. Doch welche Schlussfolgerungen ergaben sich daraus? Herr Schweitzer rieb sich die Schläfen in der Intension, seine grauen Zellen auf Hochtouren zu bringen. Jetzt war er froh, keinen schwarzen BMW zu sehen. Er brauchte Zeit, wollte durch nichts von seinen geistigen Klimmzügen abgelenkt werden.
Zwei Minuten, die einem Profi-Schachspieler alle Ehre gemacht hätten, brauchte er, um eine These auf die Beine zu stellen, die zwar völlig abartig war, sich andererseits aber als die einzig mögliche herauskristallisierte. Die einzig mögliche? Wirklich? Wenn dem so war, wie er sich das vorstellte, hätten sie sich den ganzen Hickhack um die zweite Geldübergabe sparen können. Und er, Herr Schweitzer, hätte insofern Recht behalten, dass die fünf Millionen dort hinten im Wald das reinste Ablenkungsmanöver waren. Aber es gab eine Möglichkeit, das sofort herauszubekommen. Heiliger Strohsack aber auch! Wenn dem tatsächlich so wäre! Die reinste Perfidie!
Wo blieben die nur, fragte er sich. Nun konnte es ihm plötzlich nicht schnell genug gehen. Herr Schweitzer spähte in die einzige Richtung, aus der der BMW auftauchen konnte. Doch die Gegend wirkte nach wie vor wie nach einem Giftgasangriff. Nicht mal eine Ratte wechselte die Straßenseite oder huschte in einen Gully. Herr Schweitzer verlor die Geduld, die quasi sein zweiter Vorname hätte sein können, und rief Schmidt-Schmitt an: „Wo bleibt ihr denn?“
„Was ist denn mit dir los? Du keuchst ja, als wäre dir ein Gespenst über den Weg gelaufen. Wir sind gleich bei dir. Nur noch eine Ecke. Zwanzig Sekunden, maximal.“
„Sag mal, Mischa, ist noch jemand von euch im Haus der Fornets?“
„Hm, außer der Kravat niemand. Wieso? Was ist los?“
„Erkläre ich dir gleich. Ruf die Sylvia doch mal an und frage sie, ob Gil und Paolo noch da sind.“ Nach kurzem Überlegen fügte Herr Schweitzer hinzu: „Und Fabiana, die auch.“
Dann sah er die Scheinwerfer über der Straßenkrümmung auftauchen.
Mit dem Handy am Ohr stieg sein Kumpel aus dem Wagen. Am Steuer saß Dieter Wagner. Die anderen beiden observierten wohl das Gelddepot. „Ja, Sylvia, in allen Zimmern.“
Mit einem Handzeichen erbat Schmidt-Schmitt um ein wenig Zeit. Herr Schweitzer hatte die Worte mitbekommen und schwieg nervös.
Nach zwei Minuten meldete sich die Polizeipsychologin wieder. Der Oberkommissar nickte mit dem Kopf. „Okay, ich habe verstanden. Ich glaube, wir tauchen bald wieder bei dir auf. Tschüssi.“
Dieter Wagner war sitzen geblieben, hatte aber die Scheibe heruntergelassen. „Was ist, Herr Schweitzer?“
Schmidt-Schmitt: „Alle ausgeflogen. Keiner im Haus der Fornets außer Sylvia. Das ist aber ganz schön seltsam, finde ich. Simon, nun aber raus mit der Sprache. Bist du auf etwas gestoßen, was wir wissen sollten?“
Herr Schweitzer kam nicht umhin zu lachen, als er sich die Worte auf Mischas direkte Frage zurechtlegte. „Kann man so sagen. Hier“, er deutete mit dem Daumen nach rechts, „das Dixi-Klo. Darauf bin ich gestoßen.“
Mischa: „Oh, da steckt also unser Kuno Fornet drin? Oder musst du mal pinkeln und traust dich nicht rein, weil du befürchtest, jemand könnte in der Zwischenzeit eine Eisenkette mit Vorhängeschloss davor anbringen?“
„Witzbold. Nein, wir hocken die ganze Zeit auf der Lösung wie Hennen auf ihren Eiern. Am besten, ihr ruft jetzt ganz schnell die Flughafenbullen, äh, -polizei an und veranlasst die Festnahme von Paolo, Gil und Fabiana Fornet. Bevor der erste Flieger nach Brasilien abhebt, wenn’s geht. Bei der Gelegenheit sollen die auch ihr Gepäck beschlagnahmen. Wetten, da sind 450.000 Euro drin?!“
Dieter Wagner legte seine Stirn in Falten, musterte Herrn Schweitzer und fragte sich, inwiefern ein Dixi-Klo die Vermutung wachrufen konnte, Fabiana und ihre beiden Söhne seien fluchtbereit am Airport.
Der Umstand allerdings, dass die Vögel ausgeflogen waren und nicht mehr in ihrem Nest im Anton-Burger-Weg weilten, veranlassten Dieter Wagner, Herrn Schweitzer Glauben zu schenken und zum Telefon zu greifen. Zuerst ließ er
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