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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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blechernen Zinkengabel die Läuse aus den verklebten Haarsträhnen riß. » Compratemi un maggiolino! « girrte, plötzlich wieder vorgetaucht aus dem Haustor, das Weibchen, » Ciel' incantato! « stieg das brünstige Tremolo eines Tenors spiraltoll in die Hexenluft, – »Ah!« sang im selben Augenblicke eine Stimme jauchzend: »Goethe?«
    Mit aller Gewalt riß sich Goethe aus dem Spuk. Es war Filangieri, der ihn aus seiner späten Karosse heraus entdeckt hatte.
    »Machen Sie mich glücklich und begleiten Sie mich!« bettelte die frohe Stimme aus dem schönen Gesicht gegen den Lärm.
    Ohne ein Wort zu erwidern, stieg Goethe ein.
    * * *
    Eigentümlich! So oft er nur den bescheidensten Sprung in das tat, was nicht er war, trieb ihn eine plötzliche Erscheinung – erscheinendes Neues oder aufstürzende Erinnerung an Altes – schnell nieder zu dem zurück, was er war. Oder wich es nicht etwa schon wieder der besonnensten Architektonik, das Chaos dieser ziellosen Straße? Chaos der Triebe zu bändigen mit dem Zügel des Gesetzes, war Filangieris, des Gesetzgebers Beruf. Aber auch die Welt der Körper, kaum daß sie die Chiaia erreicht hatten, fügte sich taktvoll schon wieder dem eingeborenen Sinn für Gesetz. Wie gehörig gegliederter Hintergrund stand das Nachlicht der untergegangenen Sonne hinter dem Vorgebirg des Posilipo. Ihm gegenüber wanderte die Stadt lienig am Golfe hin, dehnte sich die Küste licht und rein hinab bis Minerva; stand über Küste und Stadt völlig gemäß der veilchenfarbene Vesuv mit der Fahne von gelbem Rauch. Zwischen diesen zwei klargebauten Armen aber wogte das Meer unter dem sanftgewordenen Himmel in einer so bestimmtblauen Helle, daß alles, was noch Rest war von Trieb, Traum und Zweifel, leicht in das feste Maß des ewig Gesetzmäßigen zurückfloß.
    »Sie haben,« wagte Filangieri endlich zu fragen, – der Wagen fuhr langsam vor der Brandung dahin – »wieder einmal unser Volk beobachtet?«
    »Ja.« Zurück kehrte Goethes Auge. »In meiner Weise.«
    »Ich habe,« lächelte Filangieri, »– dieses Kompliment muß ich Ihnen machen. – noch keinen Fremden getroffen, der die Napolitaner so richtig beurteilte wie Sie! Und das freut mich! Für ein Volk Gesetze ausdenken, das ein halb Hunderttausend Lazzaroni sein nennt und unter Bourbon in Campanien lebt, ist natürlich etwas ganz anderes, als nordischen Stämmen gewähren, was sie, von ihnen selber aus, als Beschneidung ihrer Ichsucht verlangen. Nach dem bisherigen Urteil der Deutschen aber war der Napolitaner überhaupt kein Individuum, und ich ein Ideologe.«
    »Ohne Ideologie,« antwortete Goethe sanft, er fühlte dankbar, wie er genas, »gibt es auch keine Gesetzgebung; soviel ich wenigstens davon verstehe . . . .«
    »Und Sie verstehen viel mehr davon als ich!« fiel Filangieri schnell ein. »Denn Sie kennen die Wirkungen der Gesetze. Gesetze machen ohne Rücksicht auf die Zukunft . . . . .«
    »Das wollte ich eben sagen.« Dieses Meer! Dieses Maß! Diese Helle! »Wer sich keine Ahnung davon zu bilden vermag, wie die Zukunft eines Volkes in ihren Grundabsichten aussehen wird, der kann wohl Polizeivorschriften, aber unmöglich Regeln aufstellen, die Rahmen aller künftigen bleiben sollen.«
    Heiß flammte das südliche Auge auf. »Das ist das unendlich Fruchtbare im Verkehre mit Ihnen,« bekannte die mitgerissene Stimme, »daß Sie nicht nur der Dichter, sondern der Geist überhaupt sind! Das Hauptfach Ihres Geistes erschlägt niemals und nirgends Ihre Nebenfähigkeiten, obwohl es doch allein diese Nebenfähigkeiten befruchtet. Wenn man bedenkt . . . .«
    »Und dennoch vertragen die Menschen gerade den vertrauten Umgang mit mir nicht. Wieder Einer, – Tischbein hat mich heute verlassen!«
    »Warum?«
    »Es gibt keine andere Lehre aus der Gemeinschaft mit Menschen,« wich Goethe scheu aus, – bist du wieder da, bittere Träne in der zuckenden Wimper? – »als die: man darf sie, um ihnen gerecht zu werden, nicht mit der Goldwage messen, sondern mit dem groben, ja gröbsten Krämergewicht. Dann versteht man sie alle und weiß sie sogar zu billigen.«
    »Und die zweite ist die,« schwor Filangieri kategorisch, »: unabhängig werden muß man von ihnen. Durch Schaden wird man klug; aber nur durch schonungslose Erkenntnis nicht auch bitter. Erst wenn man von Keinem mehr etwas will, kann man schaffen für Alle! Es klingt zwar paradox . . . .«
    »Sie haben vollkommen recht!« Froh drückte Goethe die feurige Hand.

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