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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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nobeln Konturs. Draußen aber, – man sah es nicht, aber hörte und roch es – das Meer! »Meer!« O, so lächelt das Kind, das endlich die Mutter gefunden hat, die erste und letzte! »Meer!« Es war wahr: Keine Zunge, die Staub geschmeckt hat, kann dies Wort anders aussprechen als mit dem Gestammel der Sehnsucht. Und keine, die das bittere Salz aus der streichenden Bläue gesogen hat, anders als mit dem Pathos der Liebe: »Meer!« Nenne die Erde das Sichere; das, was du weißt! Und das Meer das Ungewisse; das, was du nicht weißt! Und steige entschlossenen Fußes über das schwankende Brett in das schwankende Boot, – und wer kennt dich noch? Bist du noch du? So wie der Tag vor der Nacht, oder umgekehrt, oder wie das Gute vor dem Bösen, oder umgekehrt, – »so wie das Gelbe vor dem Blauen, oder umgekehrt,« lächelte der leuchtende Mann, – zieht sich die Erde dann zurück vor der rinnenden Woge, die keinen Ort der Fessel weiß und keinen der Bestimmtheit und selbst in den Buchten höhnisch spielt mit ihrem Flüssigen gegen das Starre, und entsinkt, – und zum erstenmal erkennst du: die Erde, das Grüne, das Feste, und den gemeinsamen Himmel! Und gibst dich zum erstenmal auf und dahin, an das Ganze: die Welt! Deutschland? Rom? Neapel? Paestum? »Und ich selber und all meine Nöte?« Er lächelte, der leuchtende Mann. Kindlich: den Weg zu sich selber auf der begrenzten Fläche der Erde zu suchen; im Bezirk nur des Einen, ohne das ergänzende Zweite auch nur gewittert zu haben! Jetzt erst stehst du, mein Freund, vor den Pfaden der Welt! Jetzt erst: wähle! Jetzt: gehe!
    Als er, bei sinkendem Mittag, ging, den Garten verließ, trug er in der Hand: einen Thujenzweig, ein Zweiglein der Silberpappel, eine Feder der Kokospalme, ein Ästchen des Affenbrotbaumes, eine Magnolienblume und: die Feuerlilie. Im Geist: alle Keime, Wurzeln, Stämme, Schäfte, Blätter, Blüten, Kelche, Knoten, Staubgefäße, Beutel, Griffel, Samen und Früchte aller Pflanzen dieses Gartens. Er schritt die lichtbrüllende Stadt durch, den Sinn untrüglich gen Norden gerichtet, wo, widerlichtlos, in sattem Blauleben das Meer gegen den glasklaren Horizont hinrollte, erreichte das Tal, das Südosten zu zwischen dem Meer und den umrauchten Vorgebirgen sich ausgoß; kam an das Flüßchen Oreto, das in mählichem Hinfluß zwischen Ölbaum und Weide der Mündung zureiste; überschritt es; kehrte am jenseitigen Ufer wieder um, watete in das Wasser hinein; zog eine Handvoll Steine und Schlamm aus dem Grunde, betrachtete in voller Ruhe jedes Korn; ließ alle wieder fallen; schritt flußaufwärts weiter; kam in ein Gebüsch von Erlen, hinter dem eine Wiese schlief, trat daraus hervor, – und warf nun in plötzlichem Einfall die Kleider ab und sprang in das Wasser. »Himmlisch!« Es war nicht so kalt, wie die Ilm im Dezember. Dennoch atmete er lautprustend, mit wollüstigen Bewegungen der Arme und Beine. Die Sonne stand als der unwiderlegliche Wegweiser über dem jauchzenden Leibe. Die Bläue des feierig ausgespannten Himmels träufelte Vertrauen ohnegleichen herab auf die Brust. Die Vorgebirge zur Linken und Rechten, die sich ins Nasse hinaussehnten, und die prachtvoll gerade Linie des Spiegels umkreisten den wonnig verharrenden Geist wie die Grenzen einer Heimat, die er im Mutterleib schon besessen, und ließen – »göttlich ist das!« – ließen ahnen, daß er nun überall, wo nur die Elemente der Welt sich noch regten, gleich zu Hause sein könnte wie hier. Rückkehr nach Weimar? Warum nicht? »Natürlich!« lächelte der leuchtende Mann. »Die Welt in ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit ist ein Schauspiel nur für den unendlichen Geist. Ohne sich abzusondern in ihr, ein Fleckchen zu wählen, von dem aus dies Schauspiel geschaut werden kann, wüßte der gewöhnliche gar nicht zu leben!« Zum siebentenmal auf das Ufer zurückgeklettert, sprang er zum achtenmal zurück in die Woge. »Ein Nest muß man haben!« Schwimmend in unbändiger Lust rief er's aus. Strudel von Wasser ließ er sich über den Kopf stürzen. Mit Bogenarmen umhalste er die Masse der Wellen. Und Springbrunn schickte er aus den zusammengepreßten Hohlhänden. »Soviel scheint nun gewiß: man muß nur einmal wieder nichts anderes als eine Geburt der Schöpfung geworden sein, um ein Mensch, eine Person werden zu können.« In wilden Zügen nun trank er das Wasser, sogar. Und ebenso gewiß war: es ist die Pflicht jedes Lebendigen, sich auf dies Wiederwerden mit aller Sucht des

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