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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Instinkts vorzubereiten; in jedem Tag sich gerüstet zu machen für den folgenden. Hat man dies Gebot aber treulich befolgt, dann fiel einem – einmal – der Tag der Vollendung, der Tag, der einem das Nest gab in der Welt, das Zentrum im Kreise, wie reife Frucht in den Schoß! Puterrot, im Hundetempo, schwamm er weiter. Die Urpflanze, erlauert seit Jahren in Maßliebchen, Nelken, Rosen, Hirtentaschen und Tannen, war ihm in Palermo wie jener Gesuchte begegnet, der nicht begreift, daß man ihn just bei den Hyperboräern gesucht hat, und nicht von Anfang an in Palermo. Ebenso unabwendbar also wird eines Tages auch die Einsicht in die Entwicklung der Erdrinde gereift sein! Ebenso todsicher das Geheimnis der Wirbel, jeder nur scheinbar Formen überspringenden Evolution, einmal aufgelöst lächeln. Ja, wenn man gewußt hätte, daß man nicht so sehr nach Italien, als vielmehr übers Meer in die Welt hinausfahren müsse, um geboren zu werden! »Der Kosmos entschleiert sich!« triumphierte er trunken hinaus in das Weben von Bläue und Grüne, das troff von allen Düften der Nähe und Ferne. »Denn ich habe mein Nest gefunden!« Langsam-bedächtiges Wassertreten. Charlotte? Als Antriebwelle, unerbittlich hineingehetzt in sein Lebensrad, völlig gerechtfertigt, und darum ewiger Liebe des dankbaren Geistes würdig! Aber als angebetetes, das vom Sieg abhielt? Niemals wieder! Der Herzog? »Und wenn er verlangt, daß ich wie der Pelikan meinen letzten Blutstropfen auspresse für ihn und sein Haus, es kommt nicht der Tag, an dem er auf diesen Tropfen nicht rechnen darf! Aber der Minister der Geschäfte, die auch ein ehrgeiziger Pedante zustande erledigte? Nie wieder! Denn jetzt hab ich . . .«
    Pfeilschnell, in einem einzigen Augenblick, tauchte er unter.
    Im nächsten, ebenso pfeilschnell, wieder empor: Nausikaa war da!
    Wie, fragte er sich noch, mit brav erzwungener Klarheit, während Auge, Antlitz, Seele und Leib schon ein einziges überirdisches Lachen lachten, hab ich mich noch einmal narren lassen? Fand ich das Nest, weil ich übers Meer in die Welt hinausfuhr, – oder fand ich die Welt überm Meer, weil ich mein Nest fand? Dieses dachte er noch, und dabei, demütiger Rührung, noch einmal des Tempels zu Paestum. Dann nichts mehr. Denn, wie immer dem war: der dämonische Zwang des Wunders dieser Erscheinung bewies unwiderleglich: nicht nur gefunden ist das Nest, nein, es wirkt schon! Ich weiß jetzt: der Künstler bin ich, und nichts sonst! Es war nicht gewiß, ob ihn das Mädchen, das eben in die Schatten der Erlbüsche zurückschritt, gesehen hatte. Jedenfalls war er in der nächsten Sekunde aus dem Wasser. Aber er hatte, in zitternder Eile, kaum versucht, sich das Hemd über den nassen Leib zu ziehen, als das Mädchen wieder aus den Erlen hervorkam, drei andere Frauen, wohl Mägde, ihr folgten, alle vier nun ahnungslos, Schritt vor Schritt – er saß geduckt, splitternackt, vor dem Unausbleiblichen des nächsten Augenblicks – näherkamen, plötzlich wie vor einem Gespenst zusammenschraken und entsetzt davonliefen.
    Es fiel ihm, so magisch plötzlich dies alles auch geschehen, gar nicht ein, an irgendetwas davon zu zweifeln. Indem er sich rasch ankleidete, war er sich vollkommen bewußt, mit abgezieltester Phantasie zu ersetzen, was der Vorgang und seine Figuren gegenüber dem ungeheuren Vorbild etwa fehlen ließen; und litt dabei trotzdem nicht den bescheidensten Mangel. Als er aber, vorgetreten endlich, hinter den letzten Erlen auf einem Rain, der vom Ölbaumhang herabführte, einen zweirädrigen Karren, vor dem Karren ein Maultier, auf dem Karren einen mit Tüchern verdeckten Korb erblickte, ward die Verzauberung vollständig. »Mädchen!« rief er, ohne sich nur noch eine Spanne Besinnung zu gönnen, hinein in die Schleier der Hänge über der buckligen Flur, »Fräulein! Signorina! « Und, tatsächlich, sogleich hoben sich vier kichernde Gesichter aus dem Schleier. »Ich bin vollständig angezogen!« beteuerte er eindringlich, denn schon verschwanden sie wieder. »Habe im Flüßchen gebadet; aber bade nicht mehr. Keine Angst!«
    Bis an die Hälse kamen die Gesichter hervor. Das schönste aber, sobald es ihn gesehen hatte . . .
    »Ich sehe genau so aus,« rief er im Nu, in der panischen Angst, es würde noch einmal verschwinden, »wie jeder andere Mann in Palermo!« Aber da war Nausikaa schon aus den Zweigen getreten; bolzengerade wuchs er empor.
    Nach einer Weile – er wußte nicht, wie? – geschah es,

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