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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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»als zu wissen: wie unbedeutend wir Alle sind. Und daß wir trotzdem schreiben müssen; auf der Schiefertafel. Schreiben Sie seelenruhig weiter!«
    » Sie schreiben ja!«
    »Dann lassen Sie mich also weiterschreiben!« Lebenlechzend vom innerstverborgenen Nerv bis in den nußbraunen Stern und lebemächtig in jedem Punkt seiner gierigen Wohnung, jagte das Auge in die Formen des Tempels, die plötzlich griffbereit wie Stäbe dastanden und deutlich winkten: jawohl, unser , auf dem taumelnden Rückweg vom Nichts in das Leben, bediene dich, Tor, du! »Nicht hinterlassen muß man,« sprach er atemlos in sie hinein, »um gerechtfertigt sterben zu können. Sondern: wirken – im Leben!«
    »Diese zurückgebliebenen Tempel aber . . .«
    » . . . wirken weiter,« fiel er schlagend ein, – jetzt sank Vorhang auf Vorhang! – »weil sie damals gewirkt haben! Und wenn mir das auch erst jetzt aufdämmert, – wer geht da?«
    »Ein Hirte.«
    » . . . erst jetzt aufdämmert . . .«
    Aber als sie vom Tempel in die Wüste niedergestiegen waren, sahen sie erst: in weiter Entfernung trieb der Hirte seine Schafe vorüber. Die Meile der Ewigkeit schaukelte zwischen ihnen und ihm. Erschreckend, als sie diese Meile fühlten, verließ sie die Hoffnung. Sollten sie dem Manne folgen? Oder in den Tempel zurückstreben? Denn dieser ungewiß zwischen Nähe und Ferne schwebenden Erscheinung gegenüber schien dieser Tempel festzustehen wie Leuchtturm im Meer des Unmeßbaren, Unbestimmbaren. »Ich wollte«, stammelte Goethe, von neuem ins Schwanke verzogen, wie Todesangst überfiel ihn die Furcht vor der Rückkehr nach Neapel, »ich hatte gedacht, – ich meinte . . .«
    »Ich geh den Mann holen!« entschied Kniep und lief schon.
    »Nein! Bleiben Sie bei mir da! Es ist mir lieber!« Im gleichen Augenblick aber ward schon erkenntlich: der Hirt wendete. Wie auf ein bedacht verfolgtes Ziel zu kam er ihnen näher. Genau immer näher. Nach einer kurzen Viertelstunde war er da.
    »Kannst du mir nicht sagen,« redete ihn Goethe, eilig herabgestiegen, sofort an, »wer in jenem Schweinestall drüben wohnt?«
    Der Hirte war breit und stämmig. Langen Bart hatte er, buschig umbraute Augen. Den Stab hielt er mit beiden Händen vor seiner Mitte. »In jenem Stall? Die alte Verrückte.«
    »Warum ist sie verrückt?«
    Bewundernd sah der Hirte ihn an. »Haben Sie sie gesehen?«
    »Freilich.«
    »Ihr Mann,« sagte der Hirte gleichmütig, während Knieps Auge ratlos die Miene des Anderen abforschte, »hat es mit ihrer Schwester gehabt. Sie hat ihn da drinnen im Tempel mit der Schwester erwischt und beide mit dem Rebmesser abgeschlachtet. Zwei Tage darauf ist ihr das älteste Kind an einem Natternbiß gestorben. Das zweite hat einen Monat darnach der Wolf zerrissen. Und das dritte, – deswegen ist sie eben pazza geworden.«
    »Wieso?«
    »Sie soll es auf ihrem eigenen Herde gesotten und gebraten – und dann auch gegessen haben.«
    »Es gibt keine größere Gnade des Schicksals,« hob Goethe auf der Heimfahrt ganz plötzlich zu reden an, – er hatte seit den Worten des Hirten wie ein Stein geschwiegen – »als die: das Leben – Natur oder Kunst – aus einem persönlichen Erlebnis erfahren zu dürfen, das darauf hinleitet.« Das Kaleschchen rollte am Strande Neapel entgegen. Hatte das lohgelb, giftgrün und schreirot geschminkte Neapel, das die Sonne peitschte, vor sich, roch den sorglosen Lärm schon der Hocker, Läufer, Fensterschauer und Fresser. Und dennoch sah er noch immer nur: die ausgebrannte, tümpelfahle, brockenbleiche Wüste, und in ihrer Mitte den Tempel, an dessen Säulen die Erbsen der Wahnsinnigen prasselten. »Stellen Sie sich vor: ein unerwartet hereingebrochener Schmerz, eine noch in der Sekunde vorher nicht ahnbar gewesene Niederlage Ihres innersten Selbst zertrümmert mit einem einzigen Schlage die Welt, wie Sie sie sahen, und Sie blicken plötzlich in ein vollkommenes Nichts! Nichts mehr ist da. Kein Gesetz, an dem Sie sich anhalten; kein Raum, in den hinein Sie sich stellen, keine Zeit, an der Sie sich besinnen könnten. Nichts. Es gibt keinen Sinn mehr, denn das Nichts ist der vollendete Unsinn, ein Nichts aber, das auf etwas Gewesenes folgt, der satanischeste von allen, denn er zeigt schonungslos, wie so schmählich auf Sand gebaut dieses Gewesene gewesen. Und nun fällt, ebenso plötzlich, Ihr verzweifelter Blick von diesem Nichts auf die ganz und gar ausgewogene Maßhaftigkeit, ganz und gar abgezielte Ordnung, mit

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