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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Minute noch schenken, eine einzige Minute!«
    »Keine einzige Minute! Ich muß gehen!«
    »Eine einzige Minute!« lachte sie unangefochten, »nur eine einzige, kurze!« Und sein Haupt – besiegt und vergessen lag es in ihrem Schoße. Er ganz, als ob sie mit Rosen ihn gekettet, mit dem Schein des Meeres ihm die Augen geblendet und mit dem Duft der aufwandernden Gärten und Hügel und Berge das letzte Zeichen des Widerstandes betäubt hätte, in ihren Armen. Und als er endlich, weil der Triumph ihres Herzens immer süßer an die Niederlage seines Herzens frohlockte und die Glut ihrer entfesselten Seele immer seliger seine verzauberte küßte, mit Lippen des Jünglings, der zum erstenmal ganz aufgenommen ist, nach den ihrigen schmachtete, gab sie ihm plötzlich, in einer einzigen Umarmung, die ganze Pracht ihres entbundenen Menschen. »Und jetzt gehe! Jetzt ziehe! Jetzt wandre nach Hause!«
    »Ich liebe dich! Liebe dich!« flüsterte er ausgelöscht.
    »Nein! Jetzt fliehe und pilgre!«
    »Ich liebe dich! Liebe dich!«
    »Telemach wartet mit verlangenden Ärmlein!«
    »Ich liebe dich! Liebe dich!«
    »Penelope wartet mit dem Meer ihrer Tränen!«
    »Ich liebe dich! Liebe dich!«
    »Ithaka wartet! Ein ganzes Vaterland wartet!«
    »Nein! Ich liebe dich! Liebe dich.«
    »Hassen würdest du nach drei kürzesten Tagen diese brennende Küste, diese bogigen Berge, dieses kosende Meer und die heimlichen Gärten!«
    »Nein! Ich liebe dich! Liebe dich!«
    »Heimweh würde dich verzehren wie Gift nach drei weiteren Tagen und das Paradies dir zur Hölle verfinstern!«
    »Nein! Ich liebe dich! Liebe dich!«
    »Und verfluchen würdest du mich in drei weiteren Tagen; Nausikaa verfluchen, die Odysseus hielt!«
    »Nein! O nein! Halte mich!« Und mit der Todesangst der Inbrunst, wie sie nur in dem Herzen des Mannes auflodert, den zum erstenmal die Urmacht der Liebe umarmt, hob er das Haupt aus dem Schoße. »Sage mir eines nur, eines nur: liebst du mich?«
    »Liebe dich! Liebe dich!«
    »Noch einmal! Sag es noch einmal!«
    »Liebe dich! Liebe dich!« In dem Feuer der Küsse: »Liebe dich! Liebe dich!« In der Wollust des Haltens: »Wenn du winkst, daß ich dir die Sonne herabhole aus dem Bogen des Himmels . . .«
    »Liebe mich! Liebe mich!«
    »Meine Mutter, meinen Vater, meine Heimat vergesse . . .«
    »Liebe mich! Liebe mich!«
    »Täglich neu dich mir wieder erkämpfe aus den Dornen des Schicksals, mit dir emporflattere waghalsig in die Höhen der Schrecken, mit dir hinabstürze ohne Zagen in die Schrecken der Tiefe, mit dir raste, reich oder arm, nördlich oder südlich auf der gemeinsamen Erde . . .« – mit der unwiderstehlichen Gewalt ihrer Liebe umschlang sie ihn, die alle Fesseln in Einem abwirft und der Meduse der Liebe lachend ins Auge blickt – »was du winkst, will ich tun!«
    »In grauer Vorzeit . . . ich habe . . .«
    »Liebe mich! Liebe mich!« erstickte sie das werdende Wort mit Küssen.
    »Ich habe in grauer Vorzeit davon geträumt, daß es möglich sein müßte, auch zwischen Mann und Weib das zu schaffen, was die Erde an jedem neuen Morgen zu verheißen und mit jedem Abend erfüllt zu haben scheint: die Harmonie ihrer Herzen und Geister und Leiber. Und kam an dein Ufer, kaum daß ich zum letztenmal erfahren hatte, daß dieser Traum nur ein Traum ist. Und jetzt reißen mir deine zaubernden Hände diesen Himmel noch einmal auf, noch einmal sehe ich niedersteigen in die ungestillte Brust das umschimmerte Wahnbild dieser ganzen Vermählung, als ob meinem Norden sich zur Hochzeit herüberneigte dein vollendeter Süden, gießt sich die Fülle deines Herzens in den Kelch meines Herzens, verlangend noch einmal, voll Glauben und Unschuld, strecke ich die Arme aus und will ihn an mich reißen, an mich retten, bei mir betten, diesen Engel der Liebe . . .«
    Und die Sinne entsanken ihm. In dem Wald der Orangen, darin das Frühlicht des Mondes die Lieder der Nachtigallen umarmte, die Schleier der Dämmerung jede Kreatur einschläferten, die von der nüchternen Erde aufseufzte in die süßere Wonne der Himmel, entsank ihm der letzte Gedanke an die Heimat der Pflicht. Als ob sein Vaterland lautlos im Meere für ewig ertränke, die Bilder der Menschen, die ihn bisher geleitet, als Schatten in den Buchten der Gebirge verblaßten, alles Vergangene tot wehte wie der Hauch dieses beendeten Tages, und nichts mehr zu ihm gehörte als der kommende Morgen, dieser aber sie wäre, Nausikaa, die ohne Rest von Geheimnis an

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