Goethe
zuckten verhalten, die Masse des Sorakte ragte in fahlem Blau gegen die Dämonie des weißen Südglastes, und die Kastellstadt im Norden lohte in der tiefblauen Zone ihres scheinbar verschonteren Himmels wie Sage.
»Hast du etwas gesagt, Fritzel?«
»Nein. Moritz hat etwas sagen gewollt.«
Moritz aber, mit bewußtloser Hand griff er ins Gras, das brannte und unter dem Griff zerfiel, und hob den Blick unter den mächtigen Brauenbüscheln empor. Ja! Was lockte so, drängte so, rief so unwiderstehlich aus der Ferne? Der Ferne? In prallem Atemzug bäumte die Brust sich. Den ganzen Leib schüttelte Schauder. Endlich, wie im Blitz einer Offenbarung, legte er sich platt in die Erde nieder, wühlte den Kopf in die Dürre der Hitze, riß mit tollen Fingern Büschel auf Büschel Gras aus: Wald war's, der lockte! Der rief! Wald , ach, der Heimat! Vor genau einem Jahr war das gewesen! Eine kleine Stunde über dem Städtchen. Die Dächer und Türme des Städtchens, die Marken und Zäune des grünen Lands darum glänzten in unschuldigem Morgen. Er aber und sie, Himmel und Hölle der Liebe vereint in den glücksbangen Busen, stiegen aus dem Glanz in das Dunkel des Waldes. Ungeheuer fest und wahr das Aufrechte der Tannen. Die Dickichte unerschöpflich voll von den Wundern der Verstrickung, Verbergung, die der einschießende Sonnenstrahl wechselnd für Sekunden aufzündete, so, daß die Netze der Spinnen erblinkten, die goldenen Reisigstäbe, das Sternmoos und das Dreiblatt. Was aber duftete so paradiesisch wie Garten? Und wie barg dies umspannbare Kreischen von Boden, das die Zweige ohne Wort rahmten, dem ein Stück Himmel wie Auge herabsah, die ganze Welt ihrer Seelen, – aller, aller Gemüter? »Diesen Weg waldauf« – ein kaum erkennbarer Weg führte steil durch die Finsternis lichtempor – »will ich gehen,« hatte er plötzlich gesagt. »Er lockt mich. Du willst nicht?« – »Glaubst du,« hatte das Weib geantwortet, – o dies strahlende Lächeln im Stolze der Einheit! – »daß ein Weg, der dich lockt, nicht schon deshalb mich lockt, weil er dich lockt?« Und da sah er die Wolke des Abschieds sich niedersenken aus dem Auge des Himmels. Letzter Weg, dieser, durchs Geheimnis der Liebe des Waldes an der Brust der Geliebten! Und dreifach erhaben in der Wonne ihres Unberührtseins von den Krämpfen der menschlichen Seele, träufelten die aufrechten Bäume nun die Reinheit ihrer verschwiegen-erfahrenen Sinne. Öffnete sich die Seele des Taus auf den Leibern der Gräser mit allen Demuten der Nacht und allen Hoffnungen des Erwachens. Brachen gerne unterm zögernden Schritte die Reiser und entschwebte verstehend die Stille hoch waldauf in die geborgene Mulde der Wildblätter, die neben dem Gemurmel unsichtbarer Quelle brennend der Strahl überfloß. Und da, jäh nach dem ersten Tappen in Duft und in Dunkel, schlang er das Weib an sich. Ganz. Mit dem vollen Wissen der Vermählung. »Bin ich nicht gerade so groß,« flüsterte das Weib in der unlöslichen Kette seiner Arme und ihrer Arme, »daß ich wie eine Ranke . . .?« – »Sieh,« hatte er, furchtbar klopfenden Herzens erwidert, ihr Gesicht mit den schwarzen Haaren tiefst zwischen Wange und Schulter, »heute muß ich von dir gehen. Denke morgen, denke an jedem Morgen daran, was ich heute dir sage. Ich habe mich zerlitten am Heimweh nach dir; einmal, dachte ich, müßtest du nimmer dich lösen können von meiner Brust, alles hinwerfen und jubelnd entschlossen zu Schande, Armut und Tod dich an mich hängen, – mit diesem Lächeln im Stolze der Einheit! – um mit mir zu wandern, nicht mehr trennbar, durch die Wunder der Waldnacht in eine Mulde von Licht in der Höhe. Denn siehst du: zwei Wesen sind in der Brust des Mannes, und nur eine solche Tat des Weibs, das er liebt, vermag sie zu einen . . . . . .«
»So oft diese verflixte Stunde des Nachmittags kommt in diesem römischen Lande,« sagte da Schütz heiser, denn ihm würgte die Kehle der gleiche Zwang, »überfällt mich das Heimweh!« Scharf blickte er Bury an, der geschlossener Augen zärtlich an Goethen lehnte; Meyern, der unbewegt Goethens letztes Blatt prüfte und zufrieden nickend für halbwegs geraten befand; fordernd wie Gegner den Gegner nun Goethen, der versiegelt aus der Umarmung des Jünglings in die unenträtselbaren Zauber der Stunde hinaufstarrte. »Jetzt in einem schwanken Boote den Main hinabfahren,« fuhr er noch heiserer fort, armselig stritt sein Gesicht gegen Tränen, »bei fächelndem
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