Goethe
sehr, Exzellenz? Sie sind ja gesund?«
Aber Goethe, gerade weil er restlos erriet, was in dieser ewig gespalteten Brust drinnen vorging, mit einer unmißverständlichen Handbewegung lehnte er ab. Ausgetobt, in reichen Wellen, die von der Höhe des Himmels niederfluteten, von der geküßten Erde wieder aufstiegen, gelandet in der Mitte der unermeßlichen Kuppel nach allen Seiten hin wieder auseinanderflossen, bebte die Luft. Wie hinter Schleiern aus flüssigem Glase traten die Formen der Erde in die immer gefestigtere Fülle des Lichtes zurück. Die Nähe schien ins Unendliche hinausgerückte Ferne, die Ferne symbolische Wahrheit. Über alle Farben, die gierig wieder auferstanden zum Leben, goß sich von der schon gemilderten Herrschaft der Sonne herab der diamanthelle Strahl, der die Bläue entweltlichte, die Baumgruppen in sie hinein auflöste, die Fluren in unzählige Teile aller ihrer Farbenelemente zersetzte und zum vollkommensten Mosaik all dieser Elemente wieder zusammenband. Die rote Kastellstadt im Norden verlor unter dieser Zauberei des Lichts ihre Menschen, die trübe Woge des Tibers zwischen Schilf und sehnsüchtig ins Weite greifenden Hügeln die Last ihrer Historie. Eine papageigrüne Wiese, die sich zwischen den Steineichen des Wäldchens mit Schwung in den Azur des Ostens hinüberbog, schimmerte in zerfließender Lust, das Glimmen ihr gegenüber in den Niederungen des Westens, darüber die Lohe des Lichts wie rinnendes Silber träufelte, seufzte in träumender Sichaufgabe. Während das Auge des Menschen erschrak vor der Majestät dieser Wandlung, sich verschloß vor dem Geheimnis der Schönheit, das immer unlösbarer, unfaßbarer, uneinfangbarer sich verhüllte.
»Meyer!« rief Goethe wie um Rettung noch einmal.
»Was wäre es mit der Mühle da drüben, Herr Geheimerat?« antwortete rasch die ergebene Stimme.
Ohne zu überlegen griff der Untröstliche zu. Die Mühle, nichts mehr als eine Hüttenwand mit zwei darangelehnten marmornen Mahlsteinen, über denen eine Hecke schreigelben Ginsters hing, stand hundert Schritte vor dem Tiberufer. Hier war seit Jahren nicht mehr gemahlen worden. Wie mit Pfeilen schoß die Sonne in die vielscheckige Goldleuchte der Wand ohne Nebenwände und Dach. Der Geruch von heißgestrahltem Stein, die Wolke von Ginsterduft und der Atem eines Sinns, der sich nur ahnen, nicht erfühlen ließ, umnebelte wie mit Tarrennetzen die Antlitze der Mahlräder, der Blüten und der Blätter. Der Schatten, der nur in schmalen Strichen unter den Formen saß, war ohne Wesen und Klarheit, konnte nur noch vorgeben, daß hier Dinge standen, die dem Tag, dem Leben, der Welt angehörten. Denn die Allmacht des Lichts, die aus den Dingen rann und um die Dinge herum wie fließende Zeit und wie strömender Raum rollte, entkleidete sie aller Körperhaftigkeit und Gewißheit. »Es geht nicht, Meyer!« seufzte Goethe nach einer Stunde süchtigster Arbeit. »Es wird nichts!« Geduldig beugte sich Meyer über den heißgebrannten Rücken. »Doch!« sagte er bestimmt, »die Zeichnung ist rein, die Abmessungen stimmen. Nur hier vielleicht, wo der Stein mit den helleren Hintergründen zusammentritt, . . .« – und schon zog er die mißratene Linie ins Gemäße. »Ja! Jetzt!« Böse begehrte Goethe auf. »Wenn Sie das Maßgebende machen und nicht ich! Gib her, Fritz, und zeige!« Und im Augenblick ward sein Gesicht verzerrt; unglücklich. Frech, gleichgültig, einer viel herztieferen Sorge als seinem Blatt hingegeben, lächelte Burys glühendes Gesicht neben der verzweifelten Miene. In unbekümmertem Zug, mit zehn, zwölf Pinselstrichen hatte er die Mühle aufs Papier gesetzt; damit aber nicht die Mühle malen gewollt, sondern die rote Kastellstadt, wie sie unter dem tiefblauen Himmelsbogen mit sanft brennender Zinne über der kaum angedeuteten Masse der lichtbesessenen Mühlräder glomm. »Das heißt, um das Thema herumgehen!« tadelte Meyer sogleich. »Denn das Thema war: den Charakter dieser Landschaft in dieser Mühle hier aufzeigen, peinlich an diese Mühle sich haltend . . .«
»Mühle!« klang's da verächtlich von der Seite herüber. Schütz saß pinselnd auf einem Raine, mitten im Scharlach des Mohns. »Mühlen malt man in Deutschland. Kommen Sie hieher, Herr Geheimerat, und machen Sie sich an diese Bäume!«
»Nicht um die Welt, Herr Geheimerat!« befahl Meyer bestimmt; rasch hatte die schweizerische Ruhe sein Gesicht verlassen. »Es heißt: ringen mit dem Engel des Herrn. So schnell
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