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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Stein: rede! Aber der Stein redete nicht! Er mochte ihn umgehen, so oft er wollte, Zahlen herleiern, Proportionen nachmessen, Melodie aus seinem aschenen Herzen aufrufen, soviel er wollte, – der Stein war und blieb tot! Es führte keine Brücke vom zuckenden Menschenleib zu diesem Bilde. Aber auch keine vom Menschengeist, der es gebildet hatte, zu seinem Geschöpfe. Das »Prinzip« paßte wohl, aber zwischen dem Künstler – der vielleicht an einem Streit in seinem blutigsten Gemüte gestorben war – und diesem ewig unveränderbar Flöte blasenden Steinsatyr gähnte eine Kluft, die niemand und nichts überspannte. »Fort!« scheuchte er noch einmal, vernichtet, die anwirbelnde Flut der Besinnungen von der Stirn. Aber ward nur noch grauer. Die Ungeduld der Enttäuschung mit jedem weiteren Blick auf den Stein nur noch bitterer, die plötzlich wiedergekehrte Verhülltheit des Geheimnisses, wie sie auch alle anderen schon enthüllt gewesenen Geheimnisse verhüllte, nur noch endgültiger. Und wie eine dicke, vom Scirocco herabgepreßte Wolke, die von Sekunde zu Sekunde zwingender niedersank, um zuletzt für immer und ewig zu zerdrücken, legte sich der Dämmer der Verworrenheit um die verstörten Sinne. Wie, fuhr es grell wie Rettung durch die verlassene, wimmernde Seele, wenn ich entschlossen zu Bury zurückkehrte und die grausame Szene mit überlegener Lüge oder mit Reue oder lachender Gleichgültigkeit auslöschte? Aber mitten auf dem Wege fiel ihm der Name »Charlotte« ein – hatte er sie nicht »Lotte« genannt? – und er drehte wild um, – und noch einmal hinauf zu dem Steine.
    * * *
    Aber der Stein blieb auch jetzt tot. Aber nicht nur der Stein tot. Alles war tot jetzt! Rom sogar, als er nach Rom zurückkehrte, Rom tot! Ausgelöscht, wie ein Traum höhnisch entschwindet, das Morgenrot, dessen Schimmer schon so sicher geleuchtet. Funken nur noch lebendig, aber nicht mehr die Kette von Lichtern, die vom ersten Strahl folgerichtig in die volle Sonnenhelle hinanführte. Trostlos im fruchtlos ausgefahrenen Geleis des tyrannischen Gedankens sich schleppend, kam er am Vorabend des Tages der heiligen drei Könige in der via Santa Croce an einem schmalen Hause vorbei. Eine rote Laterne baumelte im Winde davor. Mandolinenspiel drang aus dem Flur. Ein Weib streckte das geschminkte Gesicht zum Tore hervor. Und jetzt, – er wollte gerade an diesen Augen vorübergehn – schrie dieses Antlitz grell auf: ein Mann stürzte an ihm vorbei in die Straße heraus. Mit einem einzigen Blick auf den Mann, der, dem Tor kaum entronnen, zu eilen begann, erkannte ihn Goethe; hielt inne. In der nächsten Sekunde, wie einem Dieb, der das Weite sucht, rief er besessen nach: »Moritz!«
    »Moritz!« noch wilder, weil der Mann, obwohl ihm der Pfeil mitten im Rücken saß, nur noch dringender weiterlief. »Moritz!« Und als der Mann auch daraufhin nicht Halt machte, in einer verbissenen Wut, die ihm die Glieder antrieb. begann auch er zu laufen, hinter dem Mann drein zu jagen, immer heißer und toller. »Moritz! Moritz!«
    Aber erst vor dem Palazzo Venezia, vor dem Brunnen, der seinen schaumigen Gischt in die Nacht aufspie, holte er ihn ein. »Wie das nächstbeste Menschenvieh in das nächstbeste Bordell!« schrie er ihn ohne weiteres an. Riß ihm, der völlig weißen Gesichts ohne Atem vor ihm zitterte, die Hand aus dem geschwungenen Mantel und stieß ihn, weiterjagend, vor sich her in der Gasse. »Als ob so ein verfluchtes Stachelfleisch nicht die Dusche des Geistes zur Verfügung hätte!«
    Niegesehen schwarz starrten die Dachsparren des Corso auf den Gestoßenen herab.
    »So ein schmieriges Weibsbild den Durst löschen könnte! Ihnen! Einem Mann von Idee! Von Talent! Von Verpflichtung!«
    Seine grausamsten Nadeln trieb das Pflaster des Randsteins dem Ertappten in die hinkenden Füße.
    »Da klettern wir beide – ja, gerade wir zwei! – Jahr und Tag miteinander von einer Höhe in die nächste, – oder habe ich Euch etwa gesagt, Ihr sollt huren?«
    »Oder Euch gelangweilt?«
    »Oder waret Ihr wirklich so strohdumm, zu glauben, weil der Heide in mir streitet mit dem Nichtheiden, ich ließe ihn am Ende ersaufen in den Jauchen der Brunst?«
    »Antworten Sie!« zerrte er den Vernichteten an sich heran, daß sie taumelten, beide. »Oder soll ich mit dem Bewußtsein nach Deutschland zurückkehren, daß ihr, meine Gefährten, mich fortsetzet in Cochonnerien?«
    »Verzeihung!« hauchte Moritz, an allen Gliedern schlotternd,

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