Goethe
»Verzeihung!«
»Während ich mich da abrackere, abschinde . . . .«
»Verzeihung!«
» . . . mir das Herz, – das auch ich habe! – panzere gegen alle Versuchungen, nur damit ich aufrecht bleibe in diesem Wettstreit ums Lichte . . .«
»Verzeihung!«
» . . . mir die Tage wie Skorpionen im Blute drin sitzen, und die Nächte . . . .«
»Verzeihung!!«
» . . . diese Nächte . . . . .« In ungeheurem Entsetzen tat er einen Schritt zurück. Und als hätte ihn der Blitz gestreift, schüttelte er Moritzens Hand ab. Kam der ganze Leib in unsichere Starre. Fiel die Hitze wie eine Todkrankheit von ihm ab und floß die Kälte der Besinnung zurück in die Adern. »Um Gotteswillen, Moritz, was tat ich!« In schwindliger Angst bohrte er das erwachte Auge in Moritzens totes. »Sie müssen mir auf der Stelle sagen, Moritz, ich kann keinen Augenblick länger darauf warten . . . . . .«
»Sie müssen mir verzeihen, Moritz! Verstehen Sie?«
»Reden Sie, Moritz!« Wie zwei Ringer ineinander verballt, standen sie im Tore. »Ich beschwöre Sie: reden Sie! Sagen Sie es!«
»Nein! Sie mir!« stöhnte Moritz erwürgt.
»Ja, ich Ihnen! Aber zuerst Sie mir!« Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Arme fuchtelten sinnlos, die Brust ging keuchend. »Ich bin kein Pharisäer mit Bewußtsein! Aber: mir graut davor . . . .! Moritz, ich flehe Sie an: sagen Sie es!«
»Gut!« flüsterte er leichenblaß; endlich. Streichelte dankbar die Arme, die ihn im pechschwarzen Dunkel umschlangen. »Gut! So ist's gut! Das war furchtbar!«
Eine halbe Stunde später trat er bei Bury ein; Bury saß bei der rauchenden Lampe vor der Galathee des Carracci. »Fritzel,« begann er sofort, »wir haben uns noch nie richtig ausgesöhnt seit damals! Komm her, ich sage dir etwas.« Und sah gar nicht, wie diesen Augen, kaum, daß das gesagt war, der Glanz ihrer Liebe zurückkehrte und um den so lang stumm gewesenen Mund der Zug seines Glaubens wieder aufstand. »Ich habe auch dir unrecht getan,« fuhr er gehetzt fort, »dich zurückgestoßen, mich verschlossen in Hochmut, als du mir in ganz richtigem Empfinden vorhieltest . . .«
»Reden Sie doch nicht mehr davon!«
»Doch, ich rede davon!« Und weil da der Lockenkopf vom Bild weg schon seine Brust suchte, kam ihm der Seufzer aus dem tiefsten Gemüte. Ich bin kein Christ, siehst du! Mein Ich lebt vom Ganzen, von allem. Ich kann keine Zeit ausschließen, keine Meinung, keinen Gegensatz, keine Ungereimtheit entbehren. Die ganze Welt, vom Anfang bis zum Ende, muß ich mir zwingen. Aber – im Evangelium Johannis steht der Satz vom Mühlstein, der einem um den Hals gehängt werden soll, . . . . du!« Und mit armseliger Inbrunst seines innersten Jammers umschlang er den Jüngling. »Laß die Dianetta laufen, mein Kind, und geh deinen Jüngling wieder suchen! Was ich getan habe und tue, es mußte, muß sein! Aber du! – Nein, ich kann jetzt nicht bleiben. Morgen seh ich dich wieder. Verzeih mir!«
Und lief schnurstracks zu Moritz hinüber.
»Nein, machen Sie nicht Licht. Sie müssen mir nur eine Antwort geben!« Und saß schon auf der Kante des Bettes. »Müssen mit entschlossenem Schritt frei aus dieser letzten schwindeligen Stunde hinüberschreiten in eine Welt, die jenseits liegt!«
»Ich bin ein Hund! Ein verfluchter, verdammter Hund!« schrie Moritz weh auf.
»Nein, nur ein Mensch, der nicht weiß, daß man den Trieb nach unten – nicht etwa, weil er nun eben auch menschlich ist, kampflos herrschen lassen, – aber daß man ihn, wenn er sich einmal gegen alles Wider des Geistes austobt, nicht zu tragisch nehmen darf. Das Böse nicht dulden, natürlich! Aber, soweit es in einem trotz allem noch da sein und leben muß, durch Nichtbeachtung ertöten! Aus der unteren Region schnell wieder hinauf in die höhere! – Folgen Sie mir nun?«
Wild griffen die unglücklichen Hände nach der aufziehenden Hand.
»Sie kennen von Gandolfo her die Idee meiner Urpflanze?«
»Sie wissen, daß ich dem Gesetz der einheitlichen Organisation des Tierkörpers nachspüre?«
»Daß ich das noch immer nicht fertige Werden der Erde aus einem ebenso einheitlichen Prinzip zu erklären versuche?«
»Schön!« Tiefer, tiefsuchender Atemzug. »Bleiben wir, der Anschaulichkeit halber, bei der Urpflanze! Wenn es feststeht, – und darin pflichteten Sie mir bereits bei – daß auch das Kunstwerk nur ein Stück Natur ist, geschaffen vom Stück Natur, das der Künstler darstellt, –
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