Goethe
er wieder aus. »Ares!« triumphierte Goethe noch sicherer. Denn nun lief der Fuß! Kinderfuß? Knabenfuß? Weiberfuß? Eilte, zögerte jetzt! Hob sich hoch, zertrat etwas . . .
Und war auf einmal nicht mehr da; entflohen.
»Ich bringe nichts heraus,« zog Kayser lachend die Finger von den Tasten. »Es ist umsonst!«
Dunkel, von einem Heer von Schatten überfallen, drückte sich Goethe in die Ecke. Niemand sagte etwas. Schütz trat ein, roten Kopfs, nicht völlig aufrecht. Aber er erriet. Behutsam ließ er sich neben Bury nieder. »Total verrückt!« machte er mit einem Zeichen. »Maulhalten!« winkte ihm Tischbein; er konnte in Todesangst das Lachen kaum noch verbeißen.
»Wenn ich ihm etwas anderes gäbe?« überlegte hingegen zwischen tiefster Verlegenheit und unwiderstehlichem Kitzel der Dunkle in der Ecke; und schlug verborgen, auf dem Spinett, sein Heft auf. Es war das Heft, das seine, geheim, auf der Jagd nach dem »Prinzipe« gelieferten Zeichnungen und gezogenen Schlüsse, peinlich logisch geordnet beide, enthielt. »Zum Beispiel die kapitolinische Venus?« Das Antlitz dieser Venus hatte er leicht zwanzigmale aufgerissen. Ihm gegenüber die Antlitze der Hera Ludovisi, der Hera Sospita, der schönbekleideten Hera, der Cleopatra, der Psyche, der verwundeten Amazone, der Athena mit dem Löwenfell, der kolossalen Athena in der Villa Ludovisi, der Athena Giustiniani und der Daphne. »Oder, Kayser,« – nein, das war ein zu weites Thema! – »haben Sie den Hercules Farnese im Auge?«
»Im großen ganzen.«
»Versuchen Sie einmal, den zu spielen! – Nein! Warten Sie!« Unschlüssig reichte er zwei Zeichnungen hinüber: eine vom Brustkorb des Heracles Farnese und eine vom Brustkorb des Heraclestorsos. »Spielen Sie vielleicht, was Ihnen die Unterschiede zwischen beiden sagen! Oder . . .«
Unsicher ward er; sie verharrten ja alle wie Blinde, wie Taube, ganz und gar Hartköpfige! »Oder vielleicht noch besser das da!« Er hatte den Kopf des Apollon vom Belvedere groß, scharflinig auf ein geraumes Blatt gebracht. Rechts davon aber den Kopf des Apollon aus dem Palazzo Giustiniani, den des Apollon Musagethes und des Apollon sauroktonos gezeichnet. Dieses Blatt reichte er Kaysern. »Ja, besser diese Köpfe. Wollen sehen!«
»Es muß nämlich,« wandte er sich feuerrot vor Eifer an Moritzen, »auch so gehen: die verschiedenen Proportionen, Typen und Kanones, als Naturphänomene, haben genau so je ihre verschiedenen Melodien wie die anderen Naturphänomene auch. Dringt also Kayser richtig ein in die Unterschiede, so müßte man sie aus der Musik heraushören können. Und das Rezept wäre durch Gegenprobe bestätigt!«
»O lala?« machte Schütz mit einem Schnalzer.
Aber schon flammte der Rasende auf. Ha! War es nicht Delphisch, was da nun erklang? Oder Karisch? Lykisch? Motiv der Heimat Apolls? »Weiter! Weiter! Nur weiter! Ich höre den Bogen klirren, den Python schnauben. Ausgezeichnet! Sehr gut! Und das ist –: Parnaß. Die Musen kommen! Passen Sie nun wohl auf, Kayser! Wenn der Apollon Giustiniani etwa der Phidiaszeit angehören sollte, dann müßten Sie . . .«
»Ich muß gar nichts!« lachte Kayser gemütlich und setzte ab.
»Nicht mutlos werden!« Atemlos trat Goethe an ihn heran. »Noch einmal anfangen! Das erste Motiv noch einmal!«
»Das ist ein Ideechen Griechenland überhaupt,« lachte Kayser heiter und spielte es noch einmal. »Attica, zum Beispiel, stelle ich mir ungefähr so vor.«
»Das zweite also?«
»Ist Parthenon, sagen wir. Die Athena Promachos drüben; dahinter das Erechtheion.«
»Also das dritte! Das dritte!«
»Troja. Homer. Das skandrische Tor.«
»Aber es war doch Apoll da! Er ist doch schon dagewesen!«
»Weil Sie ihn hören wollten!«
»Moritz!« Außer Rand und Band lief er auf Moritzen los. »Ist er da- oder nicht dagewesen, Moritz?«
Göttin der Wahrheit, flehte Moritz in den Boden nieder, während es so still ward, daß man eine Nadel fallen hören konnte, versuche mich nicht so satanisch! Dieser Mann ist entsetzlich! Tischbein kratzte einen Achilleskopf in die Tischplatte. Dieser Mann ist ein Narr! Bury pinselte wütend am Polyphem. Dieser Mann ist ein Räuber! Schütz zog aus der Westentasche, mit Mühe, ein Orangechen, goldrot, mit feinster Schale – es war aus dem Garten Aldobrandini – und biß hinein. Diesem Mann muß der Text gelesen werden!
»Moritz, so reden Sie doch!« rüttelte die unglückliche Stimme unerbittlich am Opfer. »War er da oder
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