Goethe
nicht da?«
In diesem Augenblick sagte Schütz: »Und da sprießt schon der Mandelbaum! Sprießt der Pfirsichbaum! Gehen die Maßliebchen auf vor der Porta Pia! Raschelt der Lenzwind im Pinciowäldchen! Gondelt der Himmel mit Lenzwölkchen, plappert das Volk auf Weg und Steg mit dem Lenze! Buhlt die Stadt mit der neuen Sonne im Lenze! Und ist dieser Lenz der letzte . . .«
»Moritz!« stampfte Goethe wachsbleich in den Boden.
»Ich – hab ihn nicht gehört,« stotterte Moritz noch blasser.
» . . . und sagt,« sprach Schütz ohne jede Furcht weiter: »Herr Geheimderat von Goethe, sagt er . . .«
»Mensch!« stieß ihn Tischbein von der einen, Kayser von der anderen Seite in die Rippen.
»Herr Geheimderat von Goethe, sagt er, mein Lieber! Benutzen Sie diese Tage noch recht gut, um mir ohne Hast Adieu zu sagen! Denn wenn Sie einmal wieder da oben in Kimmrien sein werden, mein' ich, wird Sie's ganz verdammt gereuen, diese letzten paar Stunden, statt mit mir, mit fixen Ideen und Spielereien vertrödelt . . . .«
Bum! flog der Stuhl, auf dem Goethe gesessen, um. Ans Spinett, daß die Saiten aufschrien. Und ein Schritt, der den Boden schaukeln machte, und mit einem Krach schlug die Tür hinter ihm zu.
»Da haben wir's!« rang Moritz die Hände.
»Nacht! Nacht! Nacht!« stöhnte der Gebrochene oben in seiner Kammer. In dieser Kammer da, draußen vor den Fenstern, oben in den gespenstigen Löchern des Wolkenhimmels, drinnen in der zerrissenen Brust: Nacht! Spielereien? Fixe Ideen? »Nacht!« Wenn die Sonne wieder aufstehen wird morgen, der Mandelbaum sprießen, der Pfirsichbaum sprießen wird, morgen, – es bleibt Nacht! Immer Nacht! »Fort! Mir entfliehen! Nur fort!« tobte er, raste er. »Fort!« Aber das Gehirn folgte nicht mehr. Wollte nicht mehr. Wie eine Schraube, die von wahnsinniger Hand gerade dort in das dickste Brett hineingetrieben wird, wo der Stein das Astes sitzt, schraubte sich der Geist nur noch tiefer hinein in den Stein des Geheimnisses. »Ich träume; weiß nicht mehr, was ich tue!« Dennoch: er bohrte weiter. »Ich verliere alles, was ich schon gewannen habe!« Dennoch: er bohrte weiter. »Reiffenstein glotzt mich wie einen Kranken an, Angelica zweifelt an meinem Sinn. Und selbst Meyer – Meyer! – schüttelt den Kopf.« Dennoch: er bohrte weiter. »Ist der Brief an den Herzog schon geschrieben?« Nein, der war noch immer nicht geschrieben! Wie um sich anzunageln, eines Morgens, endlich, setzte er sich hin an den Tisch. »Lassen Sie mich,« schrieb er keuchend, »fürder nur noch das tun, was niemand anderer als ich kann; und tragen Sie das andere anderen auf!« Bohrte aber dennoch gleich wieder weiter. Und er bohrte trotzdem nur Nacht! Nacht, die jedes frühere Licht auffraß und, je gefräßiger sie es auffraß, mit umso dickeren Mauern um ihn wuchs, in die sein tollwütiger Schädel sich verloren hineinfraß.
Bis ihm eines Abends, knapp vor dem Einzug des März, etwas gelang. Er hatte sich ans Fenster gehockt, befohlen: nun besinne dich einzig und allein auf das, was du schon gewiß weißt, und zeichne, ohne Vorlage, die Stirne, den Scheitel und die Augenbögen des Zeus! Und nun stand er mit dem Blatte vor dem vatikanischen Zeus. In fassungslosem Staunen wanderte der Blick immer wieder von der marmornen Stirn, dem marmornen Scheitel, den marmornen Augenbögen zurück zu der Stirne, zum Scheitel, zu den Augenbögen auf dem Blatt, das in seiner irren Hand zitterte. Aber als er mittags, im Vorbeigehen gewissermaßen, im Museo Strozzi eine elische Goldmünze fand, die einen ganz anderen als den vatikanischen Zeus zeigte, und trotzdem eine Stirn, einen Scheitel und Augenbögen unfehlbar desselben Gesamt-Typus, wie ihn das Blatt wies, ward das Erstaunen zum Schreck. Das Rezept paßte! Das Prinzip schloß! »Meyer!« rief er, atemlos heimgekehrt, »bestellen Sie für heute Nacht die Fackeln und verständigen Sie Hirthen! Ins Belvedere!«
Tatsächlich: als es von Sankt Peter herüber halbeilf schlug, strebten die drei Fackeln durch die gruftstummen Säle hinaus nach dem Statuenhofe. Gegen acht hatte es, vom Meer herauf, zu regnen begonnen. Nun lag über der Stadt die nasse blanke Luft des Scirocco. In den Hof herab schaute ein schwarzer sternloser Himmel. Vom Tiber herauf schollen Rufe aus einem gelandeten, wieder abfahrenden Schiffe. Auf dem Janiculus ging wildes Blühen los. Die Gärten des Papstes trieben, gepeitscht von den Stößen des Sturms, Wolken von schwerem Duft empor
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