Goethe
weggeschoben. Die Pforte in der Mauer ging jetzt auf. Ein schwarzer Mann trat ein. Ihm folgten fünf mit Fackeln. Nun, schwer mit »Hüh« und »Hoh« hereingezwängt durchs Tor: der Sarg.
»Da sind wir!« klang es hell. Verblüfft fuhr er zusammen. Woher kam diese Stimme? Wer, wer stand da strahlend? »Ihr?« riß er toll die Arme in die Luft. »Ihr seid es? Ihr?« Ja! Alle standen da: Apollo, Raffael, Homer, Michelangelo, das Kind, und die Jahrhunderte. Und reichten ihm die Hände. »Die Stunde des Lenzes!« rief der Vogel auf goldener Leiter ohne Hemmnis in die höchste Höhe. Gleich drauf ein Ruf – wer hatte ihn ausgestoßen? – und auseinander stob der Kranz. Was war? Ein Mann lief von der Halde des Aventins herab dem Kreise zu. Blitzschnell abwehrend schloß sich der. Eng flochten sich die Hände. Der Mann jedoch – er schien auf schwarzer Wolke knapp überm Boden herzufliegen – blies aus dem zeitlos schönen Mannsgesicht, nur einmal, nur ein Häuchlein Hauch aus, und war schon da. »Vergebt!« bat Goethe. Licht, das ungeheuren Sieg aussprach und ungeheure Angst zugleich, umstrahlte ihn. »Verzeiht, daß er sich eindrängt! Doch kommt er wohl so urgemußt wie Ihr! Er ist mein . . . . .«
»Ah, meine Herren! Und meine Zeiten!« lachte fröhlich Faust; tat einen Griff, ließ seinen Mantel flattern. Und sie verschwanden. Alle. Wie aufgefressen von der Glut in diesem Mantel.
»So!« lachte Faust mit Feuer groß umher. »Jetzt ist's getan! Jetzt laß uns gehn!«
Schaudernd blickte Goethe um. Und sah erstaunt: die Welt war jetzt geleert. Die Himmel riefen fordernd ihm herab: »jetzt gib uns du!« Die Erde flehte laut zu ihm empor: »jetzt treibe du! « Die Gärten ringsum mußten ohne Blüten, die Säle ohne Statuen, die Hallen ohne Bilder sein, und alle Menschen ihre Seelen nicht mehr finden; und oben, in den Sternen, sich der Meister fragen: »muß Ich nun warten, bis er – er, mein Knecht! – mir wieder winkt?«
»Du!«
Eisig blickte er um. Erkannte: frierend, ungeheures Weh, Rom, die Geliebte tief an seiner Schulter. »Du!« flehte sie, das Antlitz schmerzzerrissen zu ihm aufgehoben. »Du! Geh nicht fort! Ich kann es nicht ertragen! Kann nicht!«
»Auf einmal?« lachte er, barbarisch ferne.
Weinend kniete sie zu seinen Füßen nieder. Zehn Schritte ostwärts tanzten irr die Fackeln. Umhasteten die Männer, sinnlos hin und wider zuckend, das schwarze Grab. Trugen, in aussichtslosem Streit sich streitend, der Totengräber und ein zweiter den Sarg dahin, dorthin. Was fehlte? »Ich sagte mutig: verlaß mich!« schluchzte händeringend die Geliebte, »solang ich sah, du hast die Kraft nicht, ohne mich zu gehn. Jetzt, da ich seh, du hast sie . . . . .« Ohnmächtig floh sie auf. Umschlang ihn. Legte sich bettelnd ganz an seinen Leib. Den Herzschlag fühlte er, den heißgeliebten, wieder. Der Seele Zauber, aller Glieder Wonne, der Tage ungemessene Liebe rief ihn an: »Du! Sei barmherzig! Du!«
Und rief umsonst. Er schmolz nicht mehr! Er war schon weg!
»Du!« rang sie blutend, mit der letzten Kraft zu hoffen und grub ihr ewiges Aug ein in sein Auge. »Bist doch – mein Kind!?«
Und er erlag. »Laßt mich hier sterben!« rief er rasend, als rollte plötzlich Gift in seinen Adern, den Männern und den Totengräbern zu. »Laßt mir den Platz in dieser Erde! Bettet den, wohin ihr wollt! Ich laß Zechinen rollen! Legt mich da hinein!« Und als er, fliegend umgedreht, erkannte, daß die Geliebte selig ohnegleichen an seiner Schulter lächelnd mit ihm flehte, mit ihrem Gott von Blick die Männer rührte, sprang er entschlossen auf den Totengräber los. »Gebt nach! Seid recht ein Mensch! Legt mich hinein!«
»Hm,« machte der Totengräber. Das Weiße seiner Augen blitzte listig den zweiten an, die ungewissen Fackeln und die Männer. »Es wär ein Fall. Denn der da drin liegt, nämlich, . . .« – gemütlos wies er auf den Sarg hinab – »es weiß gar niemand nämlich, wie er heißt.«
»Wir wissen's wahrlich nicht!« bekräftigte, als Goethe starr die Männer ansah, einer von den Männern. Ein zweiter, schnell darnach: »Wir wissen's nicht.«
Mit festem Schritt trat Goethe an den Sarg heran. Beugte sich mit einem Aug, das Deckel sprengen, Leintücher zerfetzen, das tote Herz aufwecken mußte, tief darüber. »Wie,« fragte er leise, »heißest du da drin?«
»Goethe,« kam es leiser noch zur Antwort. Mit einem blöden Fuß wich er nach hinten. »W . . ie?«
»Goethe,« kam es wieder
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