Goethe
näherschleichend, so ver« . . traut . . . . . .?
Im nächsten Augenblick, urselig jauchzend, mit Armen, die sie wild in seine rissen, hing er am Halse der Geliebten wieder. »Du! Du! Du! Du!! Kommst noch einmal! Kommst einmal noch!« Und wie ein Paar, das nichts mehr trennt, in letzter Hochzeit, einten sie sich; ewig.
Zehntes Buch
Gestalt
Aufgeregt, ohne anzuklopfen, stürzte die alte Lise in Frau von Steins Salon herein. »Euer Gnaden! Wissen Euer Gnaden schon: Der Herr Geheimerat ist angekommen! Nach zehne. Die Marianne hat die Kalesche einfahren gesehen!«
Steif drehte sich Frau von Stein auf ihrem Fauteuil um. »Leibhaftig gesehen?«
Die alte Lise ward noch aufgeregter. »Sie sollen eine Masse Gepäck ausgeladen haben. Und das Erste, was er getan hat, war, daß er die Dorothee ausgeschimpft hat, weil ihr ein vezianischer Spiegel in der Hand blieb. Mein Gott!«
»Scherben bedeuten Glück.«
»Ein vezianischer Spiegel!«
»Venezianischer!«
Die alte Lise schlich an die Tür zurück. »Trotzdem!«
»Wie spät ist es?«
»Nah an halbzwölfe.«
»Gute Nacht!«
Frau von Stein glitt der Stickrahmen in den Schoß. »Also wieder da!« Auf violettem Grunde ein Schäferpaar liebte sich im Stickrahmen. Die Gesichter waren grau und verzerrt. Die Gewänder wiesen scharf gegeneinander stechende Farben. Der Wiesenplan, in dem das Paar, haargenau stereotyp, schäkerte, hatte ein falsches Grün. Schließlich blieb es gleichgültig, was man stickte!
Frau von Stein erhob sich und blies die dritte Kerze aus. Dann sperrte sie die Tür ab. Josias war bei Hofe; konnte aber jeden Augenblick kommen. Nun nahm sie den zweiarmigen Kandelaber und schritt an den Sekretär. Der Schlüssel mußte dreimal gedreht, dann aber erst noch ein geheimer Knopf gedrückt werden.
Da lagen: das Tagebuch aus Venedig und die Briefe.
Als sie schon blätterte, kam ihr der Zweifel. Sie warf das dicke Tagebuch zu, schob den Brief vom November 1786 fort. Was sollen Buchstaben beweisen, wenn das Gefühl nicht bewies? Das Gefühl aber sagte . . .
Auffahrend, hochrot, schloß sie den Sekretär. In gewohnter Gebärde strich die Hand den schwarzen Taffet des Kleides nieder. Staubig! »Es ist einfach vorbei! Lange schon!« sagte sie, mit ganz schmalen Lippen. Trat an den Spiegel. Wie alt war sie nun? Ausdruck von Ohnmacht kam in die Züge, die sich spiegeln ließen. Sechsundvierzig? Sie war wirklich alt geworden. Der Hals zeigte Schatten. Die Backenknochen traten zu stark aus den Wangen hervor. Das Haar silberte silberner als Puder. Der Mund . . .
»Nein! Er wird dich nicht mehr küssen!« sagte sie scharf, mit ganz spitzigen Lippen. Obwohl sie nicht erkannt hatte, daß sie verwelkt war.
Als es von der Schloßkapelle ein Uhr schlug, Regen an die Wände flog, streckte sie sich streng gerade, steif und knöchern in ihrem Bette aus. »Es ist einfach vorbei! Lange schon!« Und mit aller Helligkeit des zerwühlten Geistes rief sie die Monotonie der letzten anderthalb Jahre vor das Bewußtsein. Wenn man sich frägt: ein Mann, dem eine Frau elf Jahre lang angeblich Alles war, dem diese Frau ihren ganzen Menschen hingegeben hat, dieser Mann schreibt: zugrundegegangen wäre ich, hätte ich nicht die Flucht ergriffen!
»Niemals! Niemals!« Sie preßte die Lippen fest aufeinander, die Hände unterm Kopfkissen machten erzwungene Fäustchen. »Das vergesse ich eben niemals!«
Übrigens: stand nicht dasselbe in jedem Briefe? War der Ausdruck der höchsten Lust, die er in Welschland genoß, nicht das unwiderlegliche Urteil über die Lust am Besitze von ihr?
»Er hat – zweifellos! – geliebt unten! Ich kenne ihn! Nein!« Krampfhaft schloß sie die Augen. »Es ist und bleibt vorbei! Ich könnte auch gar nicht mehr!«
»Lotte, was ist dir?« Nach Stunden – laut stöhnend – fuhr sie auf. Erblickte Licht, Steinen im Nachtkleid über sie gebeugt. »Du schriest als ob du am Messer stecktest!« Gern beugte sie sich zurück. »Lösch aus!« Und noch klarer wurde der Geist. Da sagen die Leute: eine kalte Hundeschnauze ist sie. Den Mann läßt sie, den gutmütigen Stallmeister, neben ihrer hochgeputzten Seele dreinlaufen. Die Kinder hext sie an. Hat keiner was Gutes neben ihr. Etepetete. Ein unwarmer Egoist. »O, ich könnte schon anders sein!« Armselig hob sich die Brust, die im Alleinleben Meer von Gift und Bitternis geworden war. »Konnte es auch! Aber: erst in tauber Luft atmen, dann einen Mann finden wie ihn, dann ihm nie ganz gehören, –
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