Goethe
Hellas kamen und Rom überschritten, doch alles Glück und Unglück aller Welt.
Zu ihren Seiten, bald ungeduldig spornend, bald nachhinkend mühsam, die Funken des Geistes. Flogen sie voran, dann lachten die Gesichter der Jahrhunderte mit übermütigem Spott. Blieben sie zurück, dann bangten die gefurchten Mienen, zu heiß erwartend wie die Sehnsucht jener, die den Messias hoffen; oder bestärkt in ihrer Hoffnungslosigkeit wie Seelen vor dem Tor des Hades. Wohl hob sich aus dem Qualm von Schein und Finster eine Fackel hoch und bleibend in die Luft auf und ward getragen von gut griechischer Hand; marmorner Hand, die . . .
»Apollon!« rief er hingerissen. Wie in der Morgensonne ging sein Auge auf. »Ja!« rief die Fackel lodernd über Zeit und Geistern ihm entgegen, »ich bin's! Dir leuchte ich! Du schaust mich! Ja!« Doch eh der Ruf in seiner Brust das Echo fand, erblickte er . . .
Erblich er. Ein Kreuz! Auf den Schultern eines unkenntlichen Mannes schwebte es, der, weil er es trug, von Wunden und von Seufzern troff. Erlichtete, wo seine Balken in den Himmel stießen, Nah und Ferne. Warf dieses Licht verschwenderisch, in Kegeln unerschöpflich reicher Leuchtkraft rund ins Land. Leicht zu erkennen, daß die Fackel mit ihm stritt. Verzweifelt. Wer wird da siegen? In raschem Wechsel, jetzt emporgetragen vom Riesenschein in die unsichern Horizonte, jetzt rauh zurückgepreßt vom Fackelkampflicht in die Muttererde, verfolgten Hügel, Täler, Berge dieses Spiel. Bis plötzlich, – leichtfüßig, um den Blick ganz frei zu haben, rannte er durch das Piniendickicht – ganz plötzlich ein andrer Glanz aufglomm. Pfeilgerade blieb er stehn. »Das ist er! « Wie Frösteln lief es ihm den Rücken nieder. »Ist Raffael!« Ein Jüngling, wahrlich, dem von der Sonne des Olymps der einzige Gott an seine Brust gelegt war, trug siegreich ein goldlockiges Kind an seinem Herzen. »Du, Sanzio!« rief er strahlend, Arme ausgebreitet, dem Jüngling zu. »Geliebter Meister, sieh mich! Nimm mich!«
»Fallt mir nur nicht in dieses Grab herein!« riß eine grobe Stimme ihn zurück. »Das ist für einen andern ausgegraben, mein ich.«
Er stutzte. Merkwürdig! Zu seinen Füßen ward ein Grab gegraben. Der Totengräber stand hemdärmelig in der Grube und warf, daß es schrill klirrte, Erde mit der Schaufel aus. Was war das? Mit dummer Hand führ er sich über die Stirn. Was aber war – erst dort? Jenseits des Grabes, über den Brocken der Erde, kam ein Greis gepilgert, umstreift von mildem Flimmer, langsam watend im grauen Nebel der Jahrhunderte, die zögernd trabten. Homer? Warum erst jetzt? Was heißt die falsche Reihenfolge? Jedoch nur wenige Schritte tat der Alte, und aus der träumerischen Ungewißheit, alles stürzend, entrollt aus Purpurdunkel und bescheidenem Gelb, tat sich ein Mantel auf; ein Antlitz, arg verstaltet, mit zerrissenem Knebelbart kam daraus hervor, und eine knöcherig harte Hand, – mit einem einzigen Griff ergreift sie, raubt sie Fackel, Leier, Kreuz und Kind, und trägt sie alle, überstark, allein.
»Ja! So hab ich's erlebt! In dieser Folge! So versteh ich's!«
»Ich würde, wenn ich's noch so gut verstünde,« polterte des Totengräbers Stimme, »den eklen Grabrand endlich doch verlassen? Die Leiche kommt. Hört Ihr noch immer nichts?«
Er hörte wohl. Allein, wer jagte da so knieejung, schenkelewig, Brust wild aufgebäumt, dem herrisch ziehenden Michelangelo nach? Welch großer Schein beglänzt das windgepeitschte Weißhaar? Und welches Lachen höhnt dem Furienernst im strengen Aug? Ist's wiederum Apoll? »Ja! 's ist Apoll!« Und ein verwegener Sprung, – und lockenschüttelnd, seine Fackel wieder in der Faust, stürzt sich Apoll dem Zugschritt wieder vor. Das Kreuz versinkt. Wie treuer Diener, der treu Platz gehalten, weicht Michelangelo zurück ins Dunkle. Die Leier schweigt. Sanft neigt das Kindlein sich von Sanzios Brust dem neuen Arm hinüber. Die Fackel aber, die der Arm jetzt trägt, – kein Dampf und Dunst mehr stört die hohe Flamme!
»So war's!«
»So ist es!« donnerte die Stimme aus dem Grabe. Und mit Getös, ein ungeschlachter Kerl, sprang schon der Totengräber in den Boden. »Macht Euch davon! Zum letztenmal! Der Ketzer riecht schon aus der Nähe. Ich höre Pferde trampeln.«
Und, wahrhaftig! Ein Wagen nahte. Fackeln kommen tiberher? Wer ist gestorben? Wen begräbt man heute? »Hört!« Aufgeregt fiel er den Totengräber an. »Was geht da vor?« Und ward von zwei beherzten Armen
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