Goethe
Lachte kurz auf. Faßte sich aber rasch. Von Frauenherzen verstand er nichts. »Jedenfalls haben Sie die Aufgabe,« sagte er, indem er eine Marguerite zerzupfte, »ihm das aufgestaute Meer aus dem Damm zu reißen. Er muß voll sein von Erlebnis zum Platzen. Einem Manne wird er ja nur die eine oder andere Ähre zeigen. Ihnen muß er ganz Italien vor die Füße legen! Es macht mir den Eindruck, als ob, wenn man ihn nur mit dem Finger anrührte, schöne Berge, Kastellstädte, Prachtkirchen, Torsi, Gemälde, Geschichte, Verse, Musik und Erkenntnisse, ohne Maß, aus ihm herausspringen müßten. Rühren Sie ihn fest an und halten Sie einen en tout cas darunter! Obwohl er nämlich schon fast zwei Monate von Rom weg ist, . . .« Er sprang auf; ans Fenster. »Da kommt er! Ich höre . . .«
Ohne mit der Wimper zu zucken, blieb Frau von Stein sitzen. In sausender Jagd flog ihr das Blut durch den Leib, wechselten Nacht und Tag im Tanz vor den Augen, Todesangst und Himmelslicht durch die bebende Seele.
»Nein! Es ist Bode.« Kleinlaut kam Herder vom Fenster zurück. »Was macht Bode bei Ihnen?«
Sie war schon aufgestanden. »Bode?« Ohne Herrschaft die Stimme. Es durfte nicht Bode sein! Mußte er sein! »Ich kann gar nicht glauben, daß Bode . . . .«
Da stand Bode aber schon im Salon. Und war Bode. Denn Goethe ritt soeben auf der schmierigen Straße nach Belvedere hinaus. Der Herzog weilte im Schloß. Die Luft war von erbärmlicher Schlaffheit. Die Landschaft lag in den farblosesten Horizonten unerträglichster Langweile. Die paar Hügel der Ferne erhoben sich wie ausgetrieben von einer Erde, die die Eintönigkeit ihrer Fläche nicht mehr ertrug. Kirchtürmlein blinkten spitzig. Bauernhöfe standen mit ausbietender Offenheit. Die Wiesen enthielten keine andere Wesenheit in ihren Blumen, als die des inzüchtig erstarrten ewig Gleichen, das keine Sonderart mehr hervorzubringen vermag. Die Bäume ragten mit geheimnislosen Kronen. Die Wolken hoben sich nicht in geprägten Formen aus dem Himmel, sondern verschwammen darin wie unausgebildete Kinderseelen in der unentwickelten Seele der Eltern. Was die Lerchen sangen, klang ohne Bezug auf die Harmonien im Kosmos, und die Grillen zirpten unausdehnbar: mitteldeutscher Morgen. Wie aber nun das Tier, das ihn trug, aus dem formlosen Gang in klappernden Trab verfiel, die Straße stillzustehen schien und mit leerem Körper das Schloß aus den Felderbuckeln hervorkam, rief er erschrocken: »Galopp!« spornte, legte sich tief über den Hals und flog mit geschlossenen Augen davon.
Ein plötzliches Geräusch machte ihn erwachen. Die zwei Posten vor der Toreinfahrt präsentierten die Gewehre. Präsentierten sie, daß ihnen die Knochen und den Gewehren die Knochen rasselten. Mit starr naturlosen Gesichtern, die starr sinnlose Schnurrbärte querten, schauten sie den Anjagenden kannibalisch schräg an.
»Du bist der Husar Kühnelt?«
»Zu Befehl!« schrie der Posten.
»Und du heißest Mahncke?«
»Zu Befehl!« schrie der zweite.
Im Hofe drin ward ihm sogleich das Pferd abgenommen. Der Gärtner, den Strohhut an der Hosennaht, stand grinsend im Sande und der Leibjäger Anton lächelte noch zufriedener. »Exzellenz sinn aber lang in Dalche geblieben!« wagte der Gärtner nach lange emsigem Nicken zu sagen; er war ein weinerlicher Greis. »Keine Samens oder Pflänzchens mitgebracht, Exzellenz?«
Ein dankbarer Strahl flog über Goethes Gesicht. »Eine ganze Menge!« erwiderte er und klopfte dem Alten auf die Schulter. »Komme Sonnabends um sechse ins Gartenhaus!« Es schlipste nämlich der Hofkommissar Bölker jetzt über die schmale weiße Treppe herab. Diese kleine weiße Treppe war vor drei Jahren gebaut worden, um leichtere Kommunikation zu schaffen. Drum sah sie so kerzenweiß aus im Braungrau der Schloßsteinmasse. »Euer Exzellenz,« nahte Bölker schwer höfisch – er war schmächtig, von oben bis unten tadellos, und kahlköpfig – »sind bereits gemeldet. Der Herr Hofmarschall von Klinckowström ist oben, der Herr Major von Knebel und ein Attachée vom Gothaer Hofe, dessen Namen mir« – er wurde rot wie bewegter Feldmohn – »leider entfallen ist. Nicht der übliche nämlich; ich sah ihn noch nie.«
Goethe stieg die Treppen hinan. Die Wände, die Kandelaber, die schüchternen Blumenvasen, die niedlichen Sofachen, die ausdrucklosen Historien- und Ahnenbilder, die von gestern her bekannten Lakaiengesichter, der Knix der Beschließerin Frau Inneberger, – es kam ihm der
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