Goethe
Pflanzenkerne, Gipse, ein paar kleine Faunsköpfe, die Bilder Kniepens, die Zeichnungen Goethes, Kopien Burys, Lipsens und eine Anzahl von Stichen betrachtet; hundertmal Fragen gestellt, die beweisen sollten, wie nachwandelnd er den Spuren des Freundes gefolgt war. Einredelos zugehört, wenn der Freund ohne Ton, wie in ein Grab hinein, erzählte. Daraufhin jedesmal noch eine Frage gestellt, nur damit der Andere nicht glaube, daß die Teilnahme schon tot sei. Und schwieg nun. Er lag in einem altväterlichen Lehnstuhl, der dicht an der Wand stand. Unter seine Füße war ein Schemel gestellt worden, damit er nicht die Feuchtigkeit der Erde zu spüren bekäme. Als er schließlich das Empfinden hatte, zu lange und zu vorzeitig geschwiegen zu haben, und weil der Leichnam nebenan auf dem unbequemen Flachstuhl hartnäckig starr blieb, sagte er: »In einem Gespräch läßt sich dies Thema ja überhaupt nicht erschöpfen. Darüber werden wir noch Monate lang zu reden haben.«
Rührend bist du, Karl August! dachte Goethe wehmütig. Und weh ergriff er seine Hand. »Erzählen doch Sie mir! Das ist wichtiger!«
»Wichtiger?« Mit einem kurzen Lachen richtete sich Karl August auf. »Daß es nicht wichtiger ist, weiß ich. Halte mich nicht für so dumm, zu glauben, daß ich nicht wüßte, daß das Wichtigste, was ich noch tun kann, das ist: dich leben zu lassen.« Gereizt stieß er die Hand in die Luft. »Ich habe doch keinen Grund, dir zu schmeicheln? Trotzdem möchte ich dir gerne von mir erzählen! Ja! Weil du der Einzige bist, der noch immerhin annimmt, daß, was ich tue, aus einem ehrlichen Willen heraus getan wird. Während mir alle anderen gerade diesen ehrlichen Willen vorwerfen. Mich gerade deshalb verspotten, weil ich ihnen nicht klug genug scheine, um die Lügen zu spüren und die Fangnetze zu durchblicken, die man Weimar stellt. Zu ehrgeizig, um die Roheiten und mitunter auch Dummheiten des Soldatenlebens nicht mitzumachen und Reisen zu Menschen zu tun, die mich für einen idealen Schwachkopf halten und als solchen abspeisen. Kurz: weil ich ihnen zu gläubig erscheine, als daß ich den Mitspielern der ganzen Weltgeschichte und ihrem zweifelhaften Repertoire mißtraute, werfen sie mir meine Bestrebungen vor!« Leidenschaftlich riß sich die Gestalt nach der Seite der anderen hin. »Ist es noch immer, auch nach Italien, dein Grundsatz, daß man im Lande bleiben und im Lande wirken müsse, weil man auf diese Weise auch am meisten für die Welt wirken könne, – die nicht hohl ist, wie diese anderen meinen? Sage!«
»Gott!« erwiderte Goethe zögernd, ihm rollten Schleier vor den Augen, was stand noch fest und was nicht mehr? »Je weiter sich mir da unten die Blickgrenzen entfernten, umso zwingender lernte ich erkennen: es gibt keine andere Weisheit vom einen zum anderen, als die: ihn nach seiner Fasson selig werden zu lassen.«
»Praktisch!« Hart ergriff Karl August das Kelchglas auf dem Tischchen neben seinem Sessel und leerte es auf einen Zug. »Aber kalt!«
»Gebe ich zu.«
»Warum der Seufzer?« Waghalsig versuchend legte Karl August den Arm um Goethen. »Seien wir einfach deutlich. Deine Heimkehr fiel problematisch aus. Mußte so ausfallen. Wie, wenn ich dir nun vorschlüge: komme auf vier Wochen mit mir zum Regiment nach Aschersleben?«
»Heiliger Dominikus!«
Mit aller Verstandestüchtigkeit wehrte sich Karl August dagegen, sich gekränkt zu fühlen. »Oder: rekapituliere mit mir die Ergebnisse meiner bisherigen Bemühungen um den Fürstenbund, mach dir ein resumierendes Programm daraus und führe zusammen mit mir die weiteren Verhandlungen durch?«
»Ich könnte es einfach nicht!« hauchte Goethe.. »Könnte es nicht!«
Fröstelnd zog Karl August die Decke über die Knie. »Obwohl du mich – am meisten von all diesen da liebst?«
»Aus meinem ganzen Herzen und mit meiner ganzen Überzeugung!«
»Und mich, persönlich, auch rechtfertigst in dem, was ich tue?«
»Ohne jeden subjektiven Rest!«
»Objektiv aber?«
Jetzt bekam der Leichnam Bewegung. »Ich weiß sehr gut, daß Sie Preußen, Stuttgart, Darmstadt und so weiter nicht für gütige Evangelisten halten!« begann er heiß. »Daß sie nicht nach dem äußerlichen Ruhm streben, pater patriae genannt zu werden, und daß das Soldatenleben mit seinen Schablonen Ihnen in Kürze unerträglich erscheinen muß. Kurz: daß Sie dies alles auf sich nehmen, trotzdem Sie seine Unzulänglichkeit genau und schon heute übersehen. Denn Sie können sich in den
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