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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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erfahren, ja, sogar, die höhnischeste Enttäuschung zu erleben, immer wieder zu erleben, wenn man nur der Quelle dieser Wahrheit: dem Menschlichen wieder nahe war! Alles, was lebt, hat die Sehnsucht, zu sein, was es sich dünkt; unerbittlich dagegen aufgelehnt aber sehnt sich die Natur darnach: daß, was lebt, sei, was es ist. »Was sehne ich? « lispelte er wollüstig. Aber es schien: der erste und wildeste Durst war schon gestillt. Es redete ringsum. Gab es Elemente, die vom Leben der Existenzen nicht belebt sind? Die Luft schwang vom Schweigen und vom Tönen der lebendigen Stimmen. Die Erde trug die Fußstapfen der wandelnden und die Hockerlast der gebannten Schicksale. Mit dem Wasser schwebte das Los seiner gebundenen Ufer. Im Feuer rauschte der Verbrauch aller Brände. So war keine tote Vergangenheit und warf sich die Zukunft, mit jeder Sekunde schon geboren aus dem Gegenwärtigen, empor in ihr Sein. Und über diesem ewigen Augenblick fragte sich der unendliche Schöpfer: Was also wäre ich, ohne gedacht zu werden von meinen Geschöpfen? In allen Geschöpfen aber kreist, sie alle verbindend, das gemeinsame Blutteil, das Menschliche! Und doch wird jedes einzelne wieder geschieden von jedem anderen durch die niemals wiederkehrende Eigenheit seines Bluts. So muß also Liebe zugleich mit Ehrfurcht die Brust des Betrachters durchwogen, der diese Zweiheit in Gnaden entdeckte. »Finde zuerst die blutwarm umschlingende Kette, die dich allen gesellt! Dann die Wand aus unbarmherzigem Glas, die zwischen dir steht und allen! Und dann – zertrümmere die Wand, wenn ihr Aufgerichtetbleiben dem Blinderen Zweifel an der Kette einhetzte. Denn es wäre besser, daß du mit einem Mühlstein um den Hals in das Meer versenkt würdest, als daß du im Menschen nicht dich selber erkenntest, und in dir selber . . . . .«
    Er fuhr empor: was ist auf dem Wasser unten?
    Lauschen!
    Plötzlich, wie vom Wasser unten gerufen, sprang er ans Fenster. Beugte sich weit hinaus.
    Floh jedoch gleich wieder in den Rahmen zurück; so, daß sein Gesicht, das alle Sinne gierig anstrengte, in der Nacht des Raumes aufging.
    Eine offene Gondel, ärmliche, nachtschwarze Gondel, glitt kreischend an die Mauer.
    Das Wasser, mit ängstlich schläfrigem Ton, gurgelte zurück.
    Nun, wie über einem Anker gefesselt, schaukelte die Gondel.
    Nach einem tappenden Blick die toten Fenster links und rechts in den Wänden hinauf und hinab, zog der Mann, der sich soeben von der Ruderstange weg in die Gondelbank niedergelassen hatte, die Gestalt, die reglos und unsichtbaren Antlitzes neben ihm kauerte, an seine Brust, schmiegte sie, umfing sie, umschloß sie.
    Es mußte ein Mantel um beide geschlungen sein; der Mann und die Gestalt verschmolzen zu einer einzigen Stummheit.
    Das Wasser, mit halberwachend unsicherer Gebärde, wallte empor.
    Weiß wie eine sanft geneigte weiße Blume, glitt das Antlitz des Weibes von der Brust des Mannes. Willenlos süß sanken ihr die Arme zu den Seiten herab. Ihr Haar, plötzlich, löste sich aus dem Knoten, floß wie schwerer Schleier zurück in das Dunkle. Als ob ein Magnet ihn zöge, wanderte das Antlitz des Mannes dem Antlitz des Weibes nach. Die Arme schlangen wie Klammern. Der Mantel rauschte schleppend von den Gestalten.
    Hingerissen in das weltauslöschende Schweigen des Kusses verschied das Wasser unter dem Schaukeln der Gondel.
    Kein Schrei! Kein Kampf! Kein Laut! Die Leiber, unter der Tyrannis der Liebe, – wie zwei Tropfen, die unwiderstehlich ineinander verrinnen– wuchsen in einen. Bewußtlos goß sich der bewußtlose Takt dieses einen in die mild aufgreifende Höhlung der Barke.
    Das Wasser starb hin. Es verhüllten sich, bis auf eines, die toten Fenster der Wände. Stoben in die göttliche Scham des Himmels zurück die Sterne. Verschwangen, webend überm Zenith des Lebens, die ewig lebendigen Jahrtausende.
    Als die Arme des Mannes sich endlich, traumzitternd, lockerten, glitt der Leib des Weibes wie entschlummert in die tieferen Kissen. Auftauchend aus der Woge der Verzauberung tastete der Mann nach der Bank.
    Als würden die Bänder, die es magisch entwillt hatten, magisch wieder gelöst, rollte das Wasser mir eiliger Welle nach vorne.
    Die Sterne erschienen wieder. Die toten Fenster warfen ihre Verhüllung ab. Und die Jahrtausende winselten.
    »Du!« schrie der Mann, der dieses Winseln vernommen, wie der Wahnsinn auf, »du!« Stürzte zu den Füßen des Weibes nieder, warf sich auf den schaueratmenden Leib,

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