Goethe
Rhinozeros von einem Schütz gemeint, er hat eine Lieb . . .«
»Und du«, fauchte Schütz wie eine Rakete im Steigen, »daß er sich über Nacht in einen Professor ver . . .«
»Still!« befahl Tischbein. »Und aufgepaßt jetzt!« Und kerzengerade hob er die Rechte vor Goethes gespanntem Blick in die Höhe und spreizte die Finger. »Ein Gerippe der Deckenarchitektur wird für den Herrn Geheimerat gemacht! Und zwar richte das ich. Ihr aber zeichnet ihm je eine Sibylle, einen Ignudo , eine Lunette und eine Stichkappe. Dann, möchte ich doch wetten, dann geht es!«
Natürlich ging es. »Liebe, gute Bursche!« flüsterte Goethe gerührt in die Decke der Sixtina empor, als er eine Woche darnach, mutterseelenallein, im Boden der Kapelle lag. »Brave, getreue Bursche!« Tischbeins Riß gab unübertrefflichen Aufschluß. Schützens Kopie des Daniel ließ keinen Sprung im Bild unberücksichtigt. Burys Cumaea, in Farben, hätte Michelangelo selber loben müssen. Dennoch! Er stöhnte und keuchte! »Die Decke ist ein Spiegelgewölbe,« wiederholte fieberhaft arbeitend, zum zehnten Mal, das Gehirn. Und um dieses Gewölbe im Geiste, aus den mitgegebenen Winken, aufzubauen, nur im Geiste die Decke zu gliedern, schloß er die Augen. Ja! Das behielt sich jetzt freilich leicht! Das ebene Feld der Decke geht mit einer Wölbung in die Seitenwände der Kapelle über. Jede Längswand hat unter der Wölbung sechs Rundfenster. Die östliche Schmalwand zwei. Die Altarwand keines. Im ganzen also sind vierzehn. Über jedem dieser Fenster ragt ein Halbkreisbogen in die Wölbung hinauf. Über jedem Halbkreis ein Spitzbogen in die Decke hinein. In den vier Ecken der Decke treffen je zwei solche Spitzbögen zusammen: ergo gibt es auch vier Zwickelfenster. Nur selbstverständlich, daß der Mann diese gegebenen Räume entschlossen benutzte. Die Halbkreisbögen und die Spitzbögen füllte er mit den Bildern der Vorfahrenfamilien Christi, die Zwickelfelder mit Darstellungen der Errettung Israels vom drohenden Untergang. Wie aber nun – das war ja das Ungeheuerliche der Aufgabe! – zu einer viereckigen Decke kommen? Auch dieses höchst einfach! Zwischen je zwei Spitzbögen wurde je ein Pilasterpaar gemalt, das bis zur Spitze des Bogens hinanwächst. Jedes Paar umrahmt je einen Thron; macht zusammen zwölf Throne. Auf diese Throne, in abwechselnden Reihen, kamen die Propheten und Sibyllen zu sitzen, die Vorhersager des Heilands. Die Pilaster aber nun wagrecht durch ein durchlaufendes Gesimse miteinander zu verbinden, diese Idee ergab sich erst recht von selber! Allerdings schrie gerade dieses Gesimse, kaum auf die Decke gepinselt, nach Leben. Aber das machte nicht zweifeln: auf jedes Pilasterpaar, dort, wo es ins Gesimse einmündet, setzt sich ein nackter Jüngling, der zusammen mit dem gegenübersitzenden die runde Bronzetafel am Thronsockel festmacht. Und jetzt: von jedem Pilaster der Nordwand zu jedem der Südwand je zwei Linien gezogen, – und die Decke mit den neun Feldern war da.
»Ungeheuer! Unfaßbar!«
»Nein! Gar nicht unfaßbar!« Wütend schüttelte sich das im Boden liegende Haupt. »Wenn das Genie in diesen Kotter hereingeführt und ihm herrisch befohlen wird: schaff' oder verzweifle?«
Aber – die Bilder der Decke?
Der Inhalt im Rahmen?
Wie vor dem Unbekannten, dessen fremde Gewalt die ans zählbar Vertraute gewöhnte Seele mit Schrecken peitscht, schloß sich das Auge von neuem. Zwei Nonnen, auf Katzenpfoten, waren eingetreten. Schwer, angstvoll aneinandergelegt, streiften sie mit leeren Blicken die Decke, die Gemälde an den unteren Flächen der Wände, die schmal grausame Unnahbarkeit des Raumes; endlich, wie vom Fegefeuer in die Hölle gestoßen, blieben sie am »Jüngsten Gericht« hängen.
»Schöpfung, Sündenfall, Sintflut, steigende Sünde, Notschrei der Sünde nach Erlösung, Errettung von Sünde, Wiedersünde, Ahnung in sündebar gebliebenen Gemütern, Prophezeiung vom Kommen des Erlösers . . . .« – wie in einem Fieberzwang, ohne Klarheit und Wahrheit, las das angetriebene Gehirn des im Boden weh Liegenden von den Bildern der Decke abwärts zu den Mienen der inbrünstig messiassehnenden Ahnen und Propheten und Sibyllen, von diesen nieder zu den Szenen aus dem Leben Mosis und Christi, – und nun hinauf zum ›Gerichte‹.
»Wenn man wüßte«, flüsterte atemlos die ältere der zwei Nonnen, mit wachsgelber Hand, darin wie ein Strohhalm die Hand der anderen steckte, wies sie auf die Teufel empor, die
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