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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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die himmelgierig aufsteigenden Leiber zu Minos hinabstießen, »wenn man wenigstens wüßte, daß man nicht zurückgetrieben werden wird!«
    »Nützt nur: hoffen!« lallte, selber bebend wie Espenlaub, die jüngere, ihr Antlitz in der Haube war weiß wie Alabaster.
    »Was nützt die Hoffnung, wenn von allen Seiten die Teufel . . . .« – da tat sie einen Schrei, daß das Gewölbe entsetzt widerhallte; in Todesangst flogen die zwei Kutten aus dem Raume.
    Auf sprang Goethe. »Was – war?« Aber schon lächelte er. Eine Eidechse! Ein Lazertchen, vom heißen Pflaster des Damasushofes herein verirrt, flitzte über die Fliesen. Vor diesem Tier waren die Nonnen davongelaufen. Nur noch ein einziger Sonnenstrahl fiel durch das letzte Ostfenster steil nieder auf das weiße Tuch des Altars. In diesen Streifen floh das Lazertchen. Gerettet im Licht, mit zitternd grünen Flanken, aus armselig bangen Äuglein sah es Goethen an. Mit dem Schritt eines Kindes nahte der ihm. Im Nu floh es in den Schatten. Mit bangen, kurzen Sprüngen, unter seinem reglosen Blick, setzte es darin fort. Endlich ans kalte Gold eines Leuchters geborgen, verlor es sein Leben; ward grau. Jede Hoffnung schwand schon aus dem Auge. Plötzlich, als ob jede weitere Sekunde in diesem Goldeis den Tod brächte, blitzend, schoß es in die Sonne zurück. »Armes Geschöpfchen!« Und ein Schritt und ein Griff, und er hatte es in der Hand.
    »Liebling! Wohin bist du geraten?« Mit zuckendem Leib wehrte sich das Geschöpflein. Aber er gab es nicht frei. An den Altar gelehnt, so, daß er die Decke ganz überblickte, hielt er das zappelnde Leben mit heißer Hand an die Brust. Sah es nicht an, aber fühlte es. »Blut von meinem Blut? Sinn von meinem Sinn? Oder umgekehrt?« Wirr flammte sein Blick. »Unbekanntes umgibt uns beide! Gefahr?« Der Prophete Jeremias, mit verdammendem Blick, schaute weg von ihm! Gottvater, in sausendem Flug durch die Lüfte, weg von ihm! Der Erzengel Michael, reine Feuerstirn über dem kupplerischen Geschiller der Schlange, mit unbarmherzigem Arm wies er weg von ihm. Eine gebeugte Mutter, neben traurigem Kinde die Schauder der Zeit beseufzend, die noch immer nicht den Gerechten taute, verhüllte das Antlitz vor ihm! Und nur eine, nur Eva, nur der süß in allen Reizen lohleuchtende Leib der Frau unter der üppigen Flut des lustspendenden Baums lächelte nieder auf ihn. Aber – floh dieser selbe Leib nicht, drei Spannen weiter rechts, mit der Gebärde des Wahnsinns hinaus in die Leere, die ihn mit dem Jammer der Geburt und den Steinen der unfruchtbaren Äcker erwartete?
    Geräuschvoll, mit trotzigem Schritt, verließ der Abgewiesene den Raum. Draußen auf der Freitreppe vor Sankt Peter gab er dem Tierchen die Freiheit. »Zu den Göttern!« rief er ihm trotzig nach, als er schon badete im Strom der Sonne; und lächelte trotzig.
    Aber nicht mehr, als er im Nachmittag aus dem Hohlweg des Monte Mario in die Vigna einschritt, in einen Pfad, der eben vor der grenzenlosen Sicht zwischen den Weinstöcken hinausleitete zu wenigen, dürftigen Hütten. Das Häuschen, das er suchte, fand er bald. Am Abhang des Hügels, sonneselig dem Süden hingebaut, saß es auf der halmraschelnden Wiese; an der Bergseite von Lorbeer und Thymian umbuscht. Das Rundrelief, eine Madonna mit dem Knaben zeigend, trug es wirklich überm Tor. Das Tor stand offen. Stimmen drangen daraus hervor. Dennoch trat er nicht ein. Mit Diebsschritten schnell in die Vigna zurückgeschlichen, ließ er sich, verborgen dem Häuschen, am Rand des Hangs nieder ins verbrannte Gras; Rom zu seinen Füßen.
    »Rom zu meinen Füßen!« Lang und bang, ohne sich zu rühren, hatte er hinabgeschaut, bis ihn die unbegreifbare Bangnis, die über ihm schwebte, zwang, die eigene Stimme aufzurufen gegen diese Bangnis. Rostig klang die Stimme. »Rom zu meinen Füßen, und ich seh' dennoch nicht Rom!« Ach, es lag hingeschüttet da vor ihm, hingebreitet in die Täler zwischen den sieben Hügeln und in all seiner Weite und Enge und voll vom reinsten Lichte. Aber sein Auge war nicht mehr das gestrige. Mit bleicher Furcht, plötzlich, fühlte er das Leiblein der Eidechse in seiner Hand wieder, vor deren animalischen Augen jäh die Bilder der Kapelle in die unbekannte Zone fremdseelischer Wesenheit geflohen waren. Schimmerrot stieg, während ihm die Hand wieder zitterte vom Blut des Lazertchens, der Platz hinter der Porta del popolo aus dem Gewirre der goldbraunen Dächer. Hellgelb lief die Straße,

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