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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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schnurgerade, zum Quirinal, zu den zwei Kolossen empor. Der Turm des Kapitals winkte gekannt in jedem seiner urheimatlichen Maße. Die Kuppel des Pantheons hob sich, obwohl niedriger als alle anderen, lächelnd aus dem Gewoge der vielen. Das Kolosseum am Ende des erratbaren Campo vaccino, hinterm Palatin, wie der vertrauteste Freund mit der zinnoberroten Wunde seines barbarischen Risses grüßte es. Ach, alles grüßte und winkte! Trotzdem: noch gestern war es anders gewesen, all dieses! Hatte es, kindlich blutsverwandt der großen Mutter Natur mit all seinen Geheimnissen des Lebens und Sterbens, geborgen im Arm dieser Mutter gelegen. Jetzt nicht mehr! Rein! Als ob das natürliche Leben und Sterben, auch wenn es mit der feinsten Kraft gelebt und mit der tiefsten Einordnung in die Gesetze des Lebens gestorben würde, nicht die letzterreichbare Möglichkeit des Geschöpfes wäre, sondern darüber hinaus noch eine Fähigkeit, ja sogar eine Pflicht des Geschöpfs läge und die beschränktere Welt der Natur überlegen belächelte, schwebte ein unwirklicher Hauch über der Stadt und entzog ihre lesbare Sichtbarkeit dem Auge. Warum, ja warum weinten die griechischen Götterbilder nicht? Warum fraß an den Zügen und Gliedern auch des Philoktet, das Laokoon, der Niobe, des Tantalos und des Sisyphos nur der begrenzte Schmerz des Irdischen, – nie aber das unendliche Leiden der Seele, die nach einem anderen Sein dürstet? Halt! Das wäre nicht genau! Nach einem anderen Leben verlangte auch die Träne und die Trauer dieser Bilder. Aber dieses andere Leben war höchstens der Olymp oder das Elysium, wo das irdische Leben in neuer Folge fortgesetzt werden sollte. Hier aber . . . .
    Scharf riß sich das Haupt in die Luft empor. Ja! So war es: Die Griechen hatten einen Olymp, aber keinen Himmel! Der Apoll und die Hera und das ganze antike Rom gehörten dem Diesseits, – Michelangelos Bilder aber dem Jenseits! Und es gab also zwei Kunstarten . . .
    Diese Erkenntnis war schlagend! Es gab zwei Arten von Kunst: Die Kunst der Erde, die, wie der Nußkern in der Nußschale, im Bezirk des körperlichen Seins eingesperrt war, – und die Kunst des Übersinnlichen, die grenzenlos durch Sein und Nichtsein flog, nach dem Übersinn. Aus zwei aufeinanderfolgenden Weltanschauungen, ganz natürlich, waren diese beiden Arten geflossen; das Heidentum hatte sterben müssen, das Evangelium hatte leben müssen, und weil – auch dies war selbstverständlich! – die Kunst der späteren Zeit die Grenzen der früheren sprengen mußte, hatte, zuletzt, das Christentum triumphiert!
    An allen Fibern gerüttelt von der Rute dieser Offenbarung, schloß er die Augen. Umsonst. Der Grashalm, den er anfühlte, das Myrtenreis, das er fest zwischen die Finger nahm, die nach Erde und Äther duftende Luft, die ihn anstrich, der winterliche Boden, dessen tote Kühle ihm den Rücken hinaufrieselte, entzogen sich ebenso unnahbar dem Kreise des sinnlichen Lebens, wie das Bild von Rom es getan. »Es ist unser Los«, flüsterten alle diese unheimlichen Dinge, »stumm zu blühen und zu verwelken, zu wallen über den Erden, fest zu sein unter den Lüften!« Und flüsterten es mit ganz anderer Stimme, als mit welcher sie noch gestern verkündet hatten: »Du und ich, wir sind dasselbe!« »Aber«, flüsterten sie, »die Seele des Menschen hat die Gewalt und das Gebot, uns zu verlassen und über unser gebundenes Geschäft dorthin zu dringen, wo wir beschlossen sind. Und je nachdem diese Seele will, nimmt sie uns mit, oder benutzt uns nur als Brett zu ihrem Sprung – in das uns Fremde.« Und im Nu, wie reife Früchte von geduldig gehegtem Baum herab, fielen die Bilder der Sixtina in die Schwärze vor seinen Augen. Die nackten Leiber der Jünglinge, der nackte Leib Adams, der nackte Leib Evas, die geschmeidige Riesenkraft der geringelten Schlange, die Stirn Gott-Vaters, die Hand Gott-Vaters, die sich über die Weltschlucht hin ausstreckt nach dem ersten Geschaffenen, – lächerlich, zu versuchen, sie weniger gigantisch sich vorzustellen, als sie gebildet waren! Die majestätische Tragik eines überirdischen Geistes hatte sie geschaffen, der die Maße der Erde für seine Flüge verlächelt. In den Augen Ezechiels lohte der Brand eines Feuers, das zehntausend gewöhnliche Gesichter zu Asche brennen müßte. Im Wahnsinn der Glieder, die aus der Sintflut nach Rettung schrien, rollte das Blut von unzähligen Bestien, die lebengierig ihre eigenen Kinder zerträten. Alle

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