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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Mannstod. Aber nicht genug damit! Auf habgierigen Leitern, irrsinnig eilig, kletterte der Schrei hinauf in die scheinbar schuldlosen Lüfte, schürfend durch Schächte hinab in die scheinbar unschuldigen Keller der Erde, rüttelte in Höhe und Tiefe mit barbarischer Wut an den Toren des Schmerzes, forderte alle Dolche des Hasses, alle Keulen des Schimpfes, alle Prügel der Schande, alle Wollust der Henker, – alle Folter aller Teufel herab und herauf. Am besessensten aber den Tod! Ja, als ob er sein Kind wäre, oder sein Vorbote, sein Ahne, sein geborener Bekenner und Jünger, fanatisch rief er den Tod! »Wehe!« schrie er mit geiler Verlachung dem Leben nach, das da werden wollte aus dem gegeißelten Leben, – und: »Ave!« dem Retter entgegen, der alle Lüge der Lust zerfraß und aller Gefoppten schweißtriefende Qual in die Rast voller Leidlosigkeit löste. »Wann kommst du, Geliebter, einzig Ehrlicher, einzige Wahrheit?« hinein in alle Gräber des Wassers, der Luft und des Feuers und der Erde; » wann , einziger Gott?« Und der Boden erbebte, die Steine erseufzten, ein geisthaftes Echo zerbarst in den Felsen des Palatins; und drüben, auf der Velia, erstand . . .
    »Ah!«
    Todesstille!
    »Es ist geboren!«
    Ja: Es – krächzte.
    Und der Schrei war gestorben.
    Langsam, zitternden Gemütes, wie ein Hirte von Bethlehem, schlich Goethe um das Haus herum. Dreimal. Sechsmal. Zwanzigmal. Das Kindlein krächzte. Man hörte es vorm Fenster, beim Ziegenstall, auf dem Rasenfleck, an den Hintermauern, und auf der Schwelle. Es krächzte wie ein eben geborenes Tierlein. Es sah noch nichts, hörte noch nichts, stieß nur die dummen Händchen irr in den ersten Raum seiner Welt hinein und krächzte. Wimmerte. Blökte. Hustete ein bischen. Dann wiederum: »Krääääh!« Zum dreißigstenmal schlich Goethe um das Haus herum. Wer nur hinein dürfte! Zum vierzigstenmal huschte er am Fenster vorbei. Wer nur hinein dürfte! In unbezwinglicher Sehnsucht ans Fenster zurück! Durstig steckte er den Kopf durch das Gitter. Tastete nach einer Ritze im Ölpapier. Ja! Er mußte diese Mutter sehen! Diesen Vater! Dieses Kindlein! Wenn er ganz einfache ohne zu überlegen, schamlos beherzt, nur ein Mensch, der den Menschen umarmen will . . .
    Wie ein ertappter Einbrecher prallte er zurück; das Tor war aufgerissen worden; ein Weib, im tanzenden Lichtschein, stand auf der Schwelle.
    »Ist alles gut gegangen?« stieß er ohne Stimme hervor.,
    »Jesus Maria!« Im steifen Schreck fiel dem Weibe der große runde Brotlaib aus den Händen.
    Eilig hob er ihn auf. »Bub oder Mädel?«
    »Bub.«
    »Gesund?«
    »Über neun Pfund.«
    »Und – sind sie froh?«
    Getreten – was wollte dieser Fremde in der Nacht da? – kroch das Weib in den Flur zurück. » Sior Pero! « rief es, von der Angst an den Pfosten gebannt, in das Haus hinein. Aber der Sior Pero stand schon da! Groß und breit. Plötzlich, mit donnerndem Baß, fragte er: »Was ist?«
    »Ich möchte nur . . . . . .« Es mußte überwunden werden! Er sei zufällig, stammelte Goethe, puterrot vor Scham, zufällig heut Abend in den Campo herabgekommen und habe an die zwei Stunden lang dieses schreckliche Schreien gehört. »Ist es Euer Erstes?«
    Einen blöden Laut tat der Mann.
    »Und ist sie recht froh nun?«
    Ha! Das freilich war ein anderer Schrei! Lachen und Weinen, Dummheit und Weisheit in Einem tanzten im verzückten Gesichte des Vaters: » Poveretta! Angiolina! «
    »Und wie soll es heißen?«
    » Giovanni! «
    »Und was für Augen?«
    »Kohlrabenschwarze!«
    »Und Haare?«
    » Massa! Sior! Che massa di cappelli! «
    »Und – hat sie ihn schon bei sich?«
    »Und wie!«
    »Und: ähnelt er ihr?«
    »Mir!« Wie der Triumph aller Männer über alle Chöre aller vergötterten Weiber klang's. » Mir! Wie nach mir geknetet! Die Nase zum Beispiel . . . . .« Er hatte bis heute noch niemals gewußt, was für eine Nase ihm unter den Augen säße. Jetzt wußte er es. »Das Bein, – dieses Bein da ist schon an der Wurzel scharf wie ein Messer! Ich bin nämlich Steinmetze, müssen Sie wissen. Und wenn Sie mit dem Finger da heraufgreifen, – greifen Sie nur zu! Was? Nicht den geringsten Buckel hat diese Nase! Die seinige aber . . . .« Als ob ihm ein ungeheurer Einfall gekommen wäre, setzte er ab. Schob sich die fremde Hand von der Nase. Zuckte einen Blick auf das Weib hin, das noch immer starr am Pfosten klebte. Atmete schwer: soll ich, oder soll ich nicht? Plötzlich – traf

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