Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
Vom Netzwerk:
da!«
    »Komm!« gaukelte zum drittenmal der giftiggrüne Schleier. »Laß dich lieben!«
    »Fort!« Ekel, unerträglich, jagte ihn hinweg. »Fort! Fort!« Auch diese Vision war ja nur Rache! Alles, was er seit Wochen erlebte, nichts als Rache! In teuflisch voller Fülle, Folge vergalt das Schicksal ihm mit Rache! Alles rächte sich jetzt! Alttestamentarisch! Und mit Recht! Wahnsinnig flog er durch das Dunkel. Über Stock und Stein. Stürzte. Erhob sich; fiel wieder. Stand wieder auf. »Wie man Verdammnis schon auf Erden leidet!« Deshalb, um dieses »Wie« zu erkennen, – im Herzen zu erkennen, war er hierher getrieben worden! Mit einem Dornstrauch im boshaft niedrigen Tor des Severusbogens rang er. Blutend kam er hervor. »Ja: im Herzen!« Jetzt nämlich schrie dies Herz darnach, daß es nicht einsam sei. Nachdem es hundert brennende Herzen kaltlächelnd verlassen hatte! Friederike! Lottchen! Maximiliane! Lilli! »Und hundert andere!« Wie sie sich alle verzweifelt gewehrt hatten gegen sein schimmerndes Räuberwesen! Und wie er, sobald sie ihm hingereicht hatten, was sie zu innerst und nur für einmal besaßen, rücksichtslos davongegangen war. Jedesmal! Neuen Rauben entgegen! Und wie lange, – zum Beispiel, – hatte er seine Mutter nicht mehr besucht? Und wie seinen morosen Vater genannt? Und wer war am Tage nach Corneliens Tode gemütlich zu Hofe gegangen? Und trotzdem . . .
    Scheppernd, vor dem traurigen Finger der Phokassäule, machte er halt. Trotzdem war dies Alles nichts gegen die schamlose Flucht vor der Einen, Einzigen, Niemehrzuversöhnenden . . . . . .
    »Du!« schrie er gefoltert in die Nacht hinaus und umklammerte das Eis der gefrorenen Säule. »Du! Du! Du!«
    Ein Schrei antwortete ihm.
    Sofort erkannte er ihn wieder. Es war derselbe Schrei, der so schrill aufbegehrt hatte, als – vorhin – Michelangelo und Raffael ihr Werk begannen. Woher kam er?
    Da, wieder, schrie der Schrei. Im Nu, ohne zu wissen, was ihn so triebsicher von der Säule wegriß, nahm er die Arme von der Säule herab; der Schrei kam aus jenem Fenster im Steinmetzenhause, das als das einzige in dieser Totennacht leuchtete. Und schrie jetzt wieder!
    Und jetzt noch einmal! Bewußtlos, wie durch hallenden Tag, setzte er über Gräben und Blöcke nach abwärts. Mord? Notzucht? Rachetat? Schaudervolles? Aber er war kaum auf Rufnähe an das Häuschen herangekommen, als er mit einem »Ah!«, das ihm fröstelnd den Rücken hinablief, stehen blieb. Was da so schrie, – war ein Weib, das gebar! Wie ein Baumwipfel, dem das Messer eines Samaritaners die Schlinge der Waldrebe zerschnitten hat, schnellte der geduckte Leib in die Höhe. Und grenzenlos ward im Nachbeben des Schreis die Wüste, durch die der Schrei wimmerte. Lautlos fielen die drohenden Ruinen des Hintergrunds um im Anprall des Schreis. Die unnahbare Gebärde des Himmelsgewölbes nahm ihn wie eine Mutter das Kind auf und reichte ihn verwandt weiter den Sternen. Spielend durch die Täler zwischen den sieben Hügeln reiste er. Weit und bereit, so oft er ankam vor einem Tore von Rom, tat dieses Tor sich ihm auf und ließ ihn freundlich hinaus in die Freie der Fluren. Von den Schwellen dieser Flur aber, ohne in Norden, Süden, Osten oder Westen der Nähe oder Ferne noch ein Gebirge zu finden, das seinen Weiterflug aufhielt, rief er die Botschaft seines drangvollen Wehs hinaus fessellos in alle Weite der Welt; und die Toten in allen Gräbern, die Lebendigen in allen Betten des Schlafs und allen Strudeln des Wachens, die Samenkörner aller Erde, die kreisenden Säfte in allen Bäumen und Tieren und die eingeschlossenen Seelen aller Steine, – Alles, was geschaffen war, hörte ihn!
    Am dankbarsten aber dieser lauschende Mensch! Vorsichtigen Tritts, daß er nur ja keinen der wachsenden Schreie überhöre, die mit schlagenden Wogen das erlöste Herz umbrandeten, schlich er dem Fenster nahe, aus dem der Schrei rief. Revolution schien der Schrei jetzt zu schreien. Alles, was das Weib, das da hinter dem Ölpapierfenster gebar, an Wonne genossen hatte, wurde von ihm selber verdammt! Alles, was sich mit schwellender Werdekraft seit neun Monaten in diesem Leib, der sich geworfen da wand, geregt hatte: Hoffnung und Inbrunst der Mutter, – freventlich verleugnet von ihm! Unfähig, nur ein einziges Wort gegen diese Ketzerei da zu stammeln, weil ja jedes nur gestehen konnte, daß er gezeugt hatte, aber nicht gebären mußte, stand der Mann vor dem ächzenden Bette; verurteilt zum ewigen

Weitere Kostenlose Bücher