Goethe
ihn das feuerheiß bettelnde Auge des Fremden. »Warum denn nicht?« lachte er, im Nu überredet; »natürlich, kommt einfach herein und schaut ihn Euch an!«
Ach, der Fremde tastete sich schon durch die Nacht der Bocca di Leone heimwärts, und stand doch immer noch neben dem berauschten Vater! Auf den Zehenspitzen, und schaute durch den geizigen Türspalt auf die fremde Mutter und ihr Kind hin! Weiß und still, gebettet von Engeln, lag die Mutter da. Als hätte ihr der Himmel selber das Kindlein herabgelangt, das Kindlein im erfüllten Arm. Die Pein dahin. Die Furcht vorbei. Das Denken tot. Lebendig nur noch: Liebe! Liebe! Liebe!
»O, du geheime Nacht!« Wie frei schlug nun das Herz! Das Blut! Zurückgerettet aus dem Engpaß des eigenen Jammers in das weite Tal des Daseins, das alles Lebende und Tote in gemeinsam sanftem Strom von Anfang an das Ende, vom Ende zu neuem Anfang hintrieb! Rom, als volle Harmonie, erschien dem Auge wieder; ruhig im Norden, mit festgebreiteter Erde, schlummerte Deutschland; vom Zorn geheilt schon, Zukunft träumend, Charlotte. Nur Mensch sein mußt du immer wieder! Wo immer du gehst, reckt sich der Finger Gottes dir entgegen. Vergiß dich selber, und du hast die Welt. Und wer die Welt hat, kann der noch verzweifeln? Tauch in den Quell hinab, aus dem wir Alle trinken! Steig in den Kern hinein, in dem wir alle wurzeln! Und du bist Alle, und in Allen du! »Natur! Nichts als Natur! In Allem nur, – was ist?« Betroffen blieb er stehn. In der via Condotti. Was schreit denn wieder so? Was klagt so sterbend? Aus dem Korso herein schossen Blitze von Licht. Erloschen wieder. Flammten wieder auf. Plötzlich: mark- und beinerschütterndes Gebrülle. Ganz in der Nähe. Wie eine Fliege, wehrlos, von einem Strudel gehetzter Menschen ward er an die Wand gepreßt. »Haltet ihn auf!« heulte es wie besessen. »Er kommt auf den spanischen Platz aus!« toste es wütend zurück. Pfiffe, Säbelgerassel, Kettengeklirre. An der Ecke der via Babuino schien die Jagd Kehrtum machen zu wollen. Mit verzweifeltem Kegel gaukelte eine Laterne über den gestauten Gestalten. Wirbel herein in den Gassenschlund; sausend hinaus aus der Gasse. Auf einmal, wie geplatzter Traum, stob der Kampf ins Unsichtbare zurück. Schnell entschlossen Goethe ihm nach.
Aber schon vorm dritten Haus an der Westseite des spanischen Platzes holte er ihn ein. Bis hieher hatten die Sbirren, um in der Eile nach dem Mörder nicht behindert zu sein, den Erstochenen keuchend geschleppt. Nun – der Erstochene röchelte Tod – ließen sie ihn nieder. » Bestia! « fluchten sie, im Ring um ihn, bis auf die Zähne bewaffnet; und spieen auf ihn nieder. Er war ein älterer Mann in mausgrauem Tabarro. Schreckvoll stand ihm der Mund offen. Ströme von Blut brach er aus. Über der zerschundenen Stirn, die aus rissigem Elfenbein gemeißelt schien, auf dem krampfhaft zuckenden Kinn unterm Knebelbart, in den Fingern, die in panischer Angst die Brust krallten, stand furchtbar die Nähe des Todes. »Der Tiger der Suburra!« erklärte der Anführer der Sbirren, den roten Roßschweif auf dem Theaterhelm, kannibalisch stolz der Menge, die immer dicker aus allen Winkeln herzuströmte, und biß hungrig in eine Wurststange. Als er den zweiten, knackenden Biß tat, – das Röcheln des Sterbenden schwelte wie beizender Rauch zu ihm aufwärts – rief eine rutendünne Stimme: »Er verlangt den Beichtvater!« Mordsgelächter prasselte in der Dunkelbläue auf. »Ist's lustig nun, abzukratzen?« stieß ein Weib, dem die drei letzten Zähne wackelten vor Wollust, den Röchelnden in die Seite. » Magari auch der heilige Vater kann dich nicht lossprechen!« stocherte ein Krüppel mit dem dreckigsten aller Stelzbeine der Welt um ihn herum. Wiehernd wälzte sich, auf das hin, der Kranz der Gassenbuben. Wie kitzelnde Fastnachtsschlangen zuckten die langen Nasen aus ihren geilen Gesichtern auf den Sterbenden herab. Ein Käsehoch von nicht zehn Jahren hob ihm, während die Sbirren wie fixe Taschendiebe seine Säcke leerten, die stocksteif einfrierenden Füße in die Höhe und machte sie in flinkem Sechsachteltakt das Pflaster klopfen. » Tonnino! « kicherte ein Fritterol, den Gassenherd auf seinem Buckel, und stachelte mit dem Rührlöffelstiel das tropfnaße Haar auf der Brust, die wie ein Blasbalg auf und nieder ging, »hat's dich jetzt, mein Liebling?« – » Il prete! « wimmerte mit letzter Kraft der Erstochene. – » Il prete! « Ekstase der Bewegung, nach allen
Weitere Kostenlose Bücher