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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Wunder der Tatsache, daß tote Dinge die lebendigste Folge denkgierigster Gehirne lächelnd überdauern. Fast lächelte er. Man bekommt sich immer wieder in die Hand! Plagt der Verstand, dann macht man sich rasch eine Woge Gefühl. Plagt das Gefühl, – rasch einen Schuß Denken! »Hab ich dich wieder,« – fromm und herrisch zugleich frohlockte das Auge – »hab ich dich wieder, stete Kraft, mit einem Blick, einem Griff die ganze Welt zu erspüren?« Eine Sekunde darauf jedoch, – und er hatte nichts! Die Spannung des Himmels nur noch spottender entrückt. Die Wüste noch öder. Die Trümmernis noch bleicher. Die eisige Gebärde allum: weg von uns! noch deutlicher. Der Strahl des Lichtleins aber, das aus der Steinmetzenhütte leuchtete, . . .
    Als ob es aus der Ackerwand käme!
    »O Lotte! Lotte! Lotte! Lotte!« Im Triumph stürzten die Tränen nieder auf die frierenden Hände. Angst wie ein Riese überfiel ihn. Hatte er nicht de- und wehmütig gebettelt um Verzeihung? In flehentlichen, knabenhaft inständigen Briefen? Aber er mochte die Hände ringen, soviel er wollte, – sie schrieb nicht mehr! Vergab nie mehr! Auch Karl August hat noch nie geschrieben! Auch Amalia, Louise, Knebel, – nie noch! Nein, kein Zweifel! Er war in Acht und Bann da oben! Mit Hagelwolken, zorniges Gewitter von gezielter Strafe, wanderte der Blitz von Deutschland herab jetzt auf sein ungetreues Haupt! Ohnmächtig ballte er die Fäuste. »Wie aus einer verwanzten Herberg bin ich ihnen ausgebrochen! Wie von klebrigen Verwandten abgepascht!« Was? Daß er niemals mehr der einzige Mann im ganzen Herzogtum Weimar sein würde, – »ich ertrag' es! Werd' es tragen! Muß es tragen!« Aber daß der einzige Mensch, der den Schlüssel in der Hand hielt zu Allem, was er war und noch nicht war, von Anfang bis zu Ende, ihm die Rückkehr jetzt abschnitt, nur weil er – dummer Übermut! – für ein paar Monate Ausblicks und Umblicks dem Herzen den Geist entwinden gewollt hatte, . . .
    »Komm!« Wieder wehte der giftgrüne Schleierzipfel. »Komm, laß dich lieben!«
    »Geh!« schrie er; bang stob das drängende Weib zurück. »Die große Lenkerin eines großen Lebens!« O! War er nicht schon wochenlang herumgepilgert da wie der gehetzte Fremdling, der endlich beten darf: »Hab ich dich endlich, einzige Heimat!« Hatte nicht jeder Stein ihn schon angelacht, als wären sie zusammen im Paradiese wunschloser Kindheit aufgewachsen und könnte nun, da der einst Ausgestoßene zurückgekehrt war, das goldene Tor sich niemals wieder hinter ihm schließen? Und jetzt? Wenn er allein da weiter bleiben mußte, mutterseelenallein, weil der Gedanke: niemals mehr darfst du zu ihr zurück! das Paradies zur Hölle machte?
    Wie eine drohende Waffe riß er das Haupt empor. »Zur Hölle?«
    Lachen befahl er sich um den metallenen Mund. Laß dich nicht schimpfen, Auge, lachte er. Und wahrhaftig: nur weil dies rettunggierige Auge so befahl, im Nu, von ihren Sockeln losgebunden, stiegen alle Ruinen von Rom, alle Kuppeln, Kirchen, Türme, Säulen und Paläste von Rom herab ins Feld, das dies gereckte Auge beherrschte, und stellten sich, eins nach dem anderen: Sankt Peter, San Giovanni in Laterano, San Paolo, Santa Maria sopra Minerva, San Pietro in Montorio, San Pietro in Vincolis, Santa Maria Maggiore, San Elemente, San Lorenzo, der Quirinal, der Vatikan, das Pantheon, die Thermen Diokletians, das Septizonium, der Tempel der Minerva Medica, der Tempel des Janus, der des Romulus, halbnachtblau jedes und eingehüllt in Doppelwesenheit von Wirklichkeit und Wahn, zum lückenlosen Kranze um das Feld auf. Und standen kaum, als aus den Hallen, Loggien, Toren, Fenstern, Luken, Löchern ihrer Runde die weißen Marmorleiber der Götter und Heroen traten, mit freien Gliedern in den Sand herabsprangen und vor den Schwellen, Stufen, Schranken sich zum Saume ordneten. Alle waren sie da: die Hera Ludovisi, die Minerva Giustiniani, der Zeus von Otricoli, der Marsyas, die verwundete Amazone, der Antinous, der Torso Farnese, der Herakles Farnese, der Apoll vom Belvedere, der Apollo Musagethes, der Apollo Sauroktonos, Elektra und Orestes, in aufgeregtem Hin und Her, dahin und dorthin Flüstern, Rufen, Fragen, Nicken, als müßten sie die Wonne des Erwachens eilfertig auskosten, bevor das Geheiß des fremden Auges sie in die Starrheit wiederkehren hieße, bewegten sie sich gegeneinander, genossen Tritt, Schritt, Armheben, Winken, Tänzeln, – und wichen plötzlich, wie auf ein

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